Widersacher-Zyklus 04 - Erweckung
ja«, meinte Carol. »Wir wissen zwar noch nicht, wer deine Mutter war, aber wie es aussieht, kommst du ganz nach Hanley. Wenn es je einen Zweifel gegeben hat, dass du von ihm abstammst, dann ist der damit ja wohl endgültig ausgeräumt.«
»Das ist ja schräg!«, sagte eine dritte Stimme.
Jim blickte auf und sah Gerry Becker, der sich auf der anderen Seite des Sessels über die Armlehne beugte. Er biss sich auf die Zunge. Becker hatte sich den ganzen gestrigen Tag um das Anwesen herumgetrieben und hatte heute Morgen vor der Tür gestanden, kurz nachdem Jim mit Carol angekommen war. Jim hätte ihn am liebsten rausgeschmissen, aber Gerry hatte ihm erklärt, er schreibe ein Feature über Jim für den Express und benötige Hintergrundmaterial. Jim schmeichelte der Gedanke an einen Bericht über sich. Vielleicht würde der sogar von den überregionalen Zeitungen übernommen. Es konnte ja sein, dass seine Mutter den Artikel sah und sich bei ihm meldete. Und vielleicht würde diese Art von Publicity auch einen bislang noch zögernden Verlag dazu motivieren, seinen neuesten Roman zu kaufen.
Wer weiß? Vielleicht brachte es ja etwas. Aber wenn das dann bedeutete, dass er Becker tagtäglich in seiner Nähe ertragen musste, war es das dann wert? Er war praktisch bei ihnen eingezogen.
»Wie ein Ei dem anderen«, sagte Becker. »Weißt du, als ich noch beim Tribüne …«
»Ich dachte, du hättest oben zu tun.« Jim gab sich Mühe, seine fast ausgereizte Geduld zu bewahren.
»Habe ich auch. Aber ich kam runter, um zu sehen, was das für eine Aufregung ist.« Er deutete auf das Foto in dem Jahrbuch. »Wie wäre es, wenn wir ein Exemplar von deinem Jahrbuch von – wo warst du noch?«
»Stony Brook. Abschlussklasse 1964.«
»Genau, das meinte ich. Stony Brook. Wir könnten die beiden Fotos in der Reportage gegenüberstellen. Das wäre doch ein toller Effekt. Meinst du, du kannst das Jahrbuch finden, Carol?«
»Ich werde danach suchen, sobald ich nach Hause komme.«
»Vergiss das aber nicht, das wird eine richtig große Reportage. Wirklich groß.«
Jim sah den hilflosen Blick, den sie ihm zuwarf und mit dem sie ihn stillschweigend anflehte, ihr diesen zudringlichen Maulhelden vom Hals zu schaffen. Er wusste, wie wenig sie Becker leiden konnte.
»Komm schon, Gerry. Sehen wir zu, dass wir zurück nach oben in die Bibliothek kommen.«
»Sofort. Und nicht vergessen, Carol. Ich komme morgen darauf zurück, in Ordnung? Oder vielleicht komme ich auch später noch mal vorbei, wenn ihr wieder zu Hause seid.«
»Ich lasse es dich wissen, wenn ich es gefunden habe, Gerry«, sagte sie mit einem Lächeln, das so aufgesetzt wirkte, dass sie sich diesen Versuch auch hätte sparen können.
3.
Miststück!, dachte Gerry, als er Jim die Treppe hinauf folgte. Stevens Frau hielt sich wohl für was Besseres! Wo nahm die ihre hochherrschaftliche Attitüde eigentlich her? Sie war nichts weiter als eine hinterwäldlerische Schnalle aus einem Kaff am Arsch der Welt, deren Ehemann einfach Schwein gehabt hatte. Nichts, worauf man sich etwas einbilden konnte!
Aber Gerry behielt seine Gedanken für sich. Er musste sich Jim Stevens warm halten, bis er die Informationen hatte, die er für seine Story brauchte. Sicher, eine Reportage über James Stevens, der völlig unerwartet das Vermögen von Dr. Roderick Hanley geerbt hatte, samt einem Exklusivinterview mit dem illegitimen Sohn des berühmten Wissenschaftlers – das allein mochte schon reichen, um die überregionalen Zeitungen zu interessieren.
Aber Gerry hatte das Gefühl, dass hier vielleicht noch mehr als die klassische Aschenputtel-Geschichte zu holen war.
»Dann mal los«, sagte Stevens, als sie die obere Bibliothek wieder betraten, »dann machen wir mal da weiter, wo wir aufgehört haben.«
»Natürlich«, sagte Gerry.
Natürlich.
Wo sie aufgehört hatten, war da, wo sie angefangen hatten. Stevens suchte nach seiner Mami und Gerry half ihm dabei. Nicht, weil er Stevens sonderlich sympathisch fand, sondern weil es der Geschichte noch die rechte Würze gab, was fürs Herz.
Aber eigentlich suchte Gerry nach dem unter den Teppich gekehrten Schmutz. Trotz seinem wissenschaftlich einwandfreien Ruf als innovativer Forscher mit einem Händchen für die geschäftliche Seite der Dinge, war Hanley immer ein Rätsel geblieben und hatte so gut wie keine Interviews gegeben. Er war zeitlebens unverheiratet geblieben und war immer nur in Gesellschaft dieses Mediziners, Edward Derr,
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