Widersacher-Zyklus 04 - Erweckung
mühseligen Kleinarbeit, die ihm bevorstand, hatte ihn das Jagdfieber gepackt. Das hier würde sich ganz sicher lohnen. Hier war etwas oberfaul. Selbst jetzt noch, zwanzig Jahre später, konnte er den Gestank noch riechen.
Nach zwei Stunden Bücken und Knien und Ziehen und Blättern, bis seine Hände schmutzig waren und sein Rücken gequält protestierte, fand Becker schließlich ein einzelnes Blatt über Jazzy Cordeau. Und auch das nur durch Zufall. Es lag zusammengeklappt zwischen zwei anderen Akten, als sei es versehentlich dazwischengerutscht.
Er hielt es in den Lichtkegel der nackten Glühbirne, die an der Decke hing, und fluchte, nachdem er es gelesen hatte. Das brachte ihn kein bisschen weiter! Nur ein Deckblatt vom Bericht des Leichenbeschauers, in dem zusammengefasst wurde, dass Jasmine Cardeau aufgrund eines tiefen Einschnitts in der linken Halsschlagader und diversen Stichwunden im unteren Brustbereich, die zu Verletzungen der vorderen Herzmuskelkammer geführt hatten, gestorben war.
Und? Man hatte ihr also die Kehle durchgeschnitten und ihr ein Messer ins Herz gerammt. Das verriet ihm nichts Neues, abgesehen von der Tatsache, dass irgendjemand Jim Stevens Mutter mit allen Mitteln das Lebenslicht ausblasen wollte. Wer? Das war es, was er wissen wollte. Wer war Jazzy Cordeau und wer hatte sie umgebracht?
Er nahm das Deckblatt mit in die Archivabteilung. Der diensthabende Sergeant war nicht sonderlich überrascht, dass die Akte nicht aufzufinden war. Er warf einen Blick auf das einzelne Blatt.
»Was sagten Sie, wann ist das passiert?«
»14. Oktober 1949. 41th Street West.«
»Kelly könnte Ihnen vielleicht helfen. Der ist da Streife gegangen.«
»Und wo finde ich diesen Kelly?«
»Sergeant Kelly! Hier. Er hat Dienst in der nächsten Schicht. Müsste in ein paar Minuten kommen.«
Becker nahm Platz und überlegte, was das wohl für ein Polizist war, der vor zwanzig Jahren Streife gelaufen war und es nach all der Zeit gerade mal zum Sergeant im Archiv gebracht hatte. Als der übergewichtige Mann mit dem schütteren Haar schließlich auftauchte, konnte er sich denken, warum: Die ganze Abteilung roch plötzlich nach billigem Fusel.
Er wartete ab, bis der Schichtwechsel vonstatten gegangen war und Kelly es sich bequem gemacht hatte, dann ging er auf ihn zu. Er zeigte ihm seinen Presseausweis und das obere Blatt des Obduktionsberichts.
»Man hat mir gesagt, Sie könnten mir vielleicht helfen, den Rest der Akte zu finden.«
»Ach, hat man das?« Kelly musterte ihn kurz, dann warf er einen Blick auf das Blatt Papier. Er zuckte verblüfft zusammen, dann lachte er. »Jasmine Cordeau? Das ist aber ein verdammt alter Fall, den sie da haben. Ich kannte sie gut. Wieso sucht jemand wie Sie etwas über jemanden wie Jazzy?«
Becker beschloss, dass ihn ein Stück der Wahrheit bei dieser alten Schnapsdrossel weiterbringen könnte. »Ein Freund von mir, ein Findelkind, hat Hinweise darauf erhalten, dass sie seine Mutter sein könnte.«
»Was Sie nicht sagen. Jazzy und ein Kind? Klingt nicht sehr wahrscheinlich. Zu ihrer Zeit war sie eine der teuersten Nutten in der Stadt.«
»Eine Nutte?«
Becker spürte, wie das Blut durch seine Adern raste. Stevens Mutter – eine Prostituierte. Was für eine Story! »Sind Sie sicher?«
»Natürlich bin ich sicher. Sie hatte ein irre langes Vorstrafenregister.«
Das war zu gut, um wahr zu sein, und wurde mit jeder Minute besser.
»Hat man ihren Mörder jemals gefunden?«
Kelly schüttelte den Kopf. »Näh. Irgend so’n Penner hat sie überfallen. Hat sie abgestochen und ihr die Moneten abgenommen.«
Irgendwas passte hier nicht.
»Wenn sie so eine hoch bezahlte Nutte war, was tat sie dann in einer dunklen Gasse an der 41th Street?«
»Sie fing als Top-Callgirl an, aber dann kam sie auf Droge und es ging bergab mit ihr. Zum Schluss war sie bei Blowjobs in dunklen Gassen angelangt. Eine Schande. Zu ihren besten Zeiten sah sie richtig Klasse aus.«
»Was ist mit ihrer Akte passiert?«
»Wollen Sie sie sehen?«, fragte Kelly und erhob sich von seinem Platz. »Kommen Sie mit, ich zeige sie Ihnen.«
Er führte Gerry in den muffigen alten Keller zurück, aber dieses Mal in eine abgelegene Ecke, wo Kelly einen Staubfänger von einem relativ neuen Aktenschrank wegzog.
»Das sind meine persönlichen Akten«, sagte er. »Von jedem Fall, mit dem ich mal zu tun hatte, jedem Opfer und jedem Kriminellen, den ich kannte, habe ich die Akten hier.«
»Wow!« Was für ein Glück!
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