Widersacher-Zyklus 05 - Nightworld
und versucht zu ergründen, was in dir vorgeht, und ich habe die ganze Zeit nicht bemerkt, was für eine Angst du hast. Ich bin so ein Trottel.«
»Aber du stehst!«
»Das hast du doch schon vorher bei mir gesehen.«
»Aber nicht ohne Krücken.«
»Im Augenblick bist du meine Krücke. Ich konnte hier einfach nicht weiter rumsitzen und zusehen, wie du dich grämst und diesen Blödsinn erzählst, dass du dich schämst.«
»Aber ich schäme mich.« Sie drehte sich in seinen Armen und klammerte sich an ihn. »Wenn Glaeken recht hat, ist die ganze Welt bedroht, Milliarden von Menschen sind in Gefahr und alles, worum ich mich sorge, ist dieser kleine Junge. Ich bin bereit, eher die ganze Welt zum Teufel zu schicken, als ihn in Gefahr zu bringen.«
»Aber das ist nicht einfach irgendein kleiner Junge. Das ist Jeffy – dein kleiner Junge, der wichtigste kleine Junge in deiner Welt. Du darfst dich nicht dafür schämen, dass du ihn an erste Stelle setzt. Genau da sollte er stehen. Da gehört er hin.«
»Aber die ganze Welt, Alan! Wie kann ich da Nein sagen?« Sylvia spürte, wie die Panik wieder in ihr aufstieg. »Wie könnte ich Ja sagen?«
»Das kann ich nicht für dich beantworten, Syl. Ich wünschte, ich könnte das. Du musst alles gegeneinander abwägen. Du musst dir überlegen, was passiert, wenn Glaeken recht hat und er das Dat-Tay-Vao für diesen Sender, von dem er geredet hat, nicht bekommen kann: Dann stirbt Jeffy, so wie jeder andere auch. Andererseits spricht nichts dagegen, dass er das Dat-Tay-Vao aus Jeffy herausholen kann, ohne den Jungen zu gefährden. Wenn es Glaeken gelingt, diese Schrecken zu beenden, dann gibt es eine sicherere Welt, in der Jeffy leben kann.«
»Aber wenn Jeffy dann wieder in seinen autistischen Dämmerzustand zurückfällt …«
»Auch da gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder Glaeken hat Erfolg und Jeffy ist wieder so, wie er vor einem Jahr gewesen ist, und wir stellen uns dem und hoffen auf einen medizinischen Durchbruch bei der Behandlung von Autismus. Oder Glaeken scheitert, trotz Jeffys Opfer.«
»Dann war alles umsonst.«
»Nicht unbedingt. Wenn schon nichts anderes, dann wäre Jeffys Rückfall in den Autismus ein Schutz für ihn vor der Hölle, die Glaeken vorhersagt. Das wäre für ihn vielleicht sogar ein Segen.«
Sie klammerte sich noch fester an Alan: »Ich wünschte, ich müsste das nicht entscheiden.«
»Ich weiß. Zu schade, dass er nicht alt genug ist, bei dieser Entscheidung ein Wörtchen mitzureden.«
Sylvia bemerkte, wie sich eine Vibration in Alans Körper ausbreitete. Sie sah hinunter und stellte fest, dass sein linkes Bein zu zittern begonnen hatte. Noch während sie hinsah, begann es zu zucken und zu krampfen. Alan streckte die Hand aus, um das zu unterdrücken, aber sobald er wieder losließ, begann das Zittern erneut.
Alan lächelte. »Ich komme mir vor wie Robert Klein mit seiner ollen Ich kann mein Bein nicht aufhalten -Nummer.«
»Was ist los?«
»Spasmen. Passiert, wenn ich zu lange darauf stehe. Bis vor Kurzem hatte ich es noch in beiden Beinen, jetzt nur noch in meinem linken. Vielleicht sollte ich es als Elvis-Imitator probieren.«
»Ach komm, niemand hört mehr Elvis.«
»Ich schon. Aber nur die Sun-Aufnahmen und die, der er vor seiner Armeezeit bei RCA eingespielt hat.«
Sylvia lächelte. Alan und seine Oldies. Ein Teil seiner Therapie nach dem Koma war die Wiederbeschaffung seiner Doo-wop-Sammlung gewesen. Das hatte beim Wiederaufbau seiner neuronalen Verknüpfungen Wunder gewirkt.
»Hier, setz dich.«
Er ließ sich wieder in seinen Rollstuhl zurücksinken. Das Bein hörte auf zu zucken, sobald es nicht mehr belastet wurde.
»Böses Bein«, sagte Alan und schlug sich auf den reglosen Schenkel. »Das war es wohl mit meiner neuen Karriere.«
Sylvia beugte sich hinunter und legte ihm die Arme um den Hals.
»Habe ich dir eigentlich schon gesagt, dass ich dich liebe?«
»Heute noch nicht.«
»Ich liebe dich, Alan. Und danke.«
»Wofür?«
»Dass du aufgestanden bist und mich festgehalten hast, als ich das brauchte. Und dafür, dass du mir die Dinge klar gemacht hast. Ich glaube, ich weiß jetzt, was ich tun werde.«
»Missus?«
Sylvia zuckte zusammen, als sie Bas Stimme hörte. Wenn er sich doch nur angewöhnen würde, etwas mehr Lärm zu machen, wenn er sich näherte. Er war wie eine Katze.
Er stand hinter ihr und hielt den neuen Schlagstock in der Hand, an dem er den größten Teil des Nachmittags gearbeitet hatte, um den zu
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