Widersacher-Zyklus 05 - Nightworld
seine körperlosen Fühler weiter und weiter aus, auf der Suche nach mehr Nahrung. Er kann nie genug bekommen.
Sonntag
Sonntag in New York
WNYW-TV
Und jetzt die Nachrichten: Die Sonne ist heute verspätet um 7:10 Uhr aufgegangen und fand nicht nur eine verwüstete New Yorker Innenstadt vor, sondern eine ganze Welt, die von den Ereignissen der letzten Nacht schwer erschüttert worden ist …
Manhattan
Was für eine Nacht.
Jack stand gähnend in der morgendlichen Kälte vor Gias Haus. Ihn fröstelte und er zog den Reißverschluss seiner Jacke höher.
Es war beinahe Juni. Müsste es nicht eigentlich wärmer werden?
Jenseits des East Rivers ging die Sonne schnell und rot über Queens auf. Er hatte fast das Gefühl, er könne sehen, wie sie sich voranbewegte. Sutton Square um ihn herum hatte noch nie so furchtbar ausgesehen. Der kleine Villenblock oberhalb des FDR Drive war am Freitag verschont geblieben, aber die letzte Nacht hatte das mehr als ausgeglichen. Glassplitter lagen auf den Bürgersteigen, zerfetzte Fliegengitter hingen in Streifen an den Fenstern.
Die Kauwespen und die Wanstfliegen waren zurückgekommen, aber da waren auch noch andere – größere, schwerere – Kreaturen gewesen. Glücklicherweise waren die hölzernen Fensterläden an Gias Haus nicht nur Zierde. Sie hatten wirkliche Scharniere und man konnte sie vor die Fenster klappen. Die Nacht war lang und nervenaufreibend gewesen, voller gieriger, blutrünstiger Geräusche, aber sie hatten sie in Sicherheit verbracht.
Andere hatten nicht so viel Glück gehabt. Jack überlegte, ob er sich die angrenzenden Häuser ansehen sollte, um zu sehen, ob jemand Hilfe brauchte, als er etwas bemerkte, das über dem Mast einer Straßenlaterne an der Ecke hing, etwas Großes, Schlaffes.
Er machte ein paar Schritte darauf zu und blieb stehen, als er sah, was es war. Ein menschlicher Leichnam. Vielleicht der einer Frau, aber die Leiche war so zerfetzt und ausgesaugt, dass man das nicht ohne Weiteres sagen konnte.
Doch wie war sie dorthin gekommen? Die Laterne war mehr als sechs Meter hoch. Gab es Wesen aus den Löchern, die groß genug waren, mit einem Menschen davonzufliegen?
Die Dinge verschlimmerten sich schneller, als er sich das vorgestellt hatte.
Jack überprüfte die Glock in seinem Hosenbund, dann die zusätzlichen Magazine in den Taschen, dann sah er nach seinem Wagen. Der schwarze Lack des Crown Vic hatte an einigen Stellen Blasen geworfen, als sei er mit Säure bespritzt worden, und die Windschutzscheibe war mit einer stinkenden Substanz beschmiert, die Jack mit einem Lappen aus dem Kofferraum abwischte.
»Wow! Was ist denn hier passiert?«
Jack drehte sich um und sah Vicky in der Eingangstür des Hauses stehen, in Latzhose, Flanellhemd, Jacke und ihrer grün-weißen Jets-Mütze. Mit dem kleinen Koffer in der Hand sah sie aus wie ein Mädchen vom Lande, das in der großen Stadt zu Besuch ist. Aber ihre blauen Augen waren schreckgeweitet, als sie die ruinierte Lackierung des Wagens ansah.
»Das waren die Viecher aus dem Loch«, sagte Jack und winkte sie näher zu sich heran, damit sie den Leichnam auf der Laterne nicht bemerkte. »Deswegen will ich, dass du mit deiner Mama wegfährst.«
»Mama will immer noch nicht weg.«
»Das weiß ich, Vicks.«
Gott, und wie ich das weiß.
Gia wollte die Stadt nicht verlassen. Sie dachte, sie und Vicky könnten die schlimmen nächsten Tage genauso gut hier in ihrem massiven Haus am Sutton Square abwarten. Jack wollte davon nichts hören. Er war bereit, ihr bei fast allem nachzugeben, nur nicht, wenn er glaubte, dass sie in Gefahr war. Er war letzte Nacht unnachgiebig geblieben und hatte sie so lange gedrängt, bis sie schließlich einwilligte, am frühen Morgen mit Abe die Stadt zu verlassen.
»Haben du und Mama euch deswegen gestern Nacht angeschrien?«
»Wir haben uns nicht angeschrien. Wir hatten nur … wir waren einfach unterschiedlicher Meinung.«
»Ach. Ich dachte, ihr hättet Streit.«
»Ich und deine Mutter? Wir uns streiten? Niemals. Jetzt komm schon, Vicks. Rein in den Wagen!«
Als Vicky auf den Bürgersteig hinaustrat, tauchte Gia hinter ihr auf. Sie trug Jeans und einen marineblauen V-Kragen-Pullover über einem weißen T-Shirt. Ihre Augen, die den gleichen Farbton hatten wie die von Vicky, wurden auch genauso groß, als sie die Straße sah. Sie fuhr sich mit den Fingern durch das kurze blonde Haar.
»Oh Jack!«
»Ich wette, das ist noch gar nichts im Vergleich zum Rest der
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