Widerspruch zwecklos oder Wie man eine polnische Mutter ueberlebt
sie alle zusammen wie ein gigantisches Schiff aussehen. Man sagt darum auch Schiffssetzung dazu, und Ales Stenar ist die größte, die in Schweden noch erhalten ist. Die Forscher streiten immer noch über ihren Zweck und ihr genaues Alter. Jedenfalls ist es ein historisches Meisterwerk. Um dorthin zu gelangen, muss man auf einen Hügel steigen, das Monument steht dann nicht weit von einer Klippe, die steil ins Meer stürzt. Die Aussicht von dort ist unglaublich, und ich kenne niemanden, dem das steinerne Schiff nicht Respekt einflößt.
In der Nacht, als es mir einfiel, schien es mir der beste Treffpunkt der Welt zu sein: ein abgeschiedener Ort weit weg von Päpsten, Alarmanlagen, polnischen Müttern und irgendwelchen Menschen, die uns vielleicht kannten, ein Platz in der freien Natur, an dem wir ungestört sein würden.
Jetzt ist es Viertel vor zwölf, ich bin schon da, und zu meiner Verärgerung sehe ich jede Menge wahrscheinlich deutsche Touristen, die sich in kleinen Gruppen hügelaufwärts auf die berühmten Steine zubewegen. Es ist also kein bisschen so, wie ich es mir vorgestellt habe. Die Idee war, dass Ola Olsson und ich mit den Steinen allein sein sollten. Deutsche Touristen waren in meinem Plan nicht vorgesehen. Wenigstens ist es warm und sonnig, der leichte Wind vom Meer her stört mich nicht.
»Mutti, Mutti! Was sind das für Steine, Mutti?«, höre ich ein lautes deutsches Kind.
Ich stehe beim Stevenstein am südlichen Ende. Jetzt steht da auch noch eine hagere Familie in hässlichen gelben Windjacken. Der Vater trägt Schnurrbart, Mutti hat harte Linien um den Mund, und den zwei Kindern hat man lieblos die Haare geschnitten. Das jüngere zerrt an Muttis Arm.
»Die sind aus der Wikingerzeit, Helmi, die sind ganz, ganz alt«, sagt der Vater.
Ich halte so unauffällig wie möglich Ausschau, ob Ola Olsson schon auf dem Weg zu den Steinen zu sehen ist, aber ich kann ihn nicht entdecken.
»Wie alt, Papi, wie alt?« , fragt das Kind, das jetzt an Papis Arm zerrt.
Der Deutsche mit dem Schnurrbart wendet sich an mich.
»Excuse me, how old are ze stones?« , fragt er mich.
»The Rolling Stones?«
Papi verstummt und runzelt die Stirn.
»No, ze stones here« , sagt er schließlich.
»Sorry, I don’t know« , antworte ich. » I think about two thousand years old. Just like the Rolling Stones.«
»Zenk you«, sagt Papi.
Ich werfe einen verstohlenen Blick auf meine Armbanduhr und sehe, es ist schon fünf nach zwölf. Und immer noch kein Ola Olsson in Sicht, nur eine größere Gruppe ebenfalls deutscher Touristen. Eine ältere Frau in Shorts und mit von lila Krampfadern übersäten Beinen fragt mich:
»How many stones are zere here?«
»There are fifty-nine stones« , antworte ich.
Weil ich so früh da war und nichts anderes zu tun hatte, habe ich sie tatsächlich gezählt.
Die Gruppe versammelt sich jetzt um mich herum, und ich begreife viel zu spät, dass sie mich für eine Art Fremdenführerin halten.
»Why did ze Vikings put zem here?«
»Is zere anyzing under ze stones?«
»Who waz actually diz Ale?«
»How much does ze tour cost?«
»Hallo, Alicja.«
Ola Olsson steht hinter mir. Er muss den Weg vom Strand herauf genommen haben.
»Hallo«, sage ich und spüre, wie ich bis zum Haaransatz erröte.
Dass er gekommen ist! Er ist hier!
»Gibt es die Führung auch auf Deutsch?«
»Ist das hier dein Sommerjob?«, fragt Ola und nickt in Richtung der Touristen, die jetzt in einer Traube vor mir stehen. Ein paar von ihnen wühlen in ihren Brieftaschen.
»Das hier? Nein, ich hab nur hier gestanden und gewartet.«
In Ola Olssons Nähe zittern mir die Beine. Ich versuche mich daran zu erinnern, mit welchen Worten ich unser Treffen einleiten wollte.
»Wie ist es bei Åhlens weitergegangen?«, frage ich stattdessen. »Haben sie dich … verhaftet?«
»Es war alles halb so schlimm. Ich hab ihnen einfach nur gesagt, ich hätte vergessen zu bezahlen. Ein bisschen schwierig war nur, meiner Mutter zu erklären, wieso ich mit Tampons und Haarbalsam nach Hause komme.«
Ola lächelt so warm, und seine Augen sehen mich so lieb an, dass ich mich fast an dem großen Stevenstein festhalten muss.
»Hier, ich hab’s dir mitgebracht«, sagt er und gibt mir die Einkaufstüte. »Damit du’s eurem Handwerker geben kannst.«
»Danke.«
»Dein Buch ist auch dabei.«
Mit Entsetzen schaue ich in die Tüte. Da ist es tatsächlich: Nie mehr müssen müssen – Ihr Weg aus der Inkontinenz .
»Danke«, sage ich
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