Widerspruch zwecklos oder Wie man eine polnische Mutter ueberlebt
hier!«
Dann klingelt es zum dritten Mal. Ich stürze aus dem Wohnzimmer und sehe im Flurspiegel, dass ich immer noch Pan Bogusławs hässliche Dreckskappe aufhabe, aber ich mache mir nicht die Mühe, sie abzusetzen. Tief in mir drinnen hoffe ich, dass es die Jungs von den Elektrizitätswerken sind, die was vergessen haben. Ich hab das Lügen satt.
Als ich die Tür aufmache, steht Ola Olsson vor mir. Er sieht so gut und trotzdem irgendwie traurig aus, dass mir fast das Herz stehen bleibt. Gleichzeitig überflutet mich eine Riesenwelle kalter Wut. Alle Ungerechtigkeiten, die ich in der letzten Zeit ertragen musste, kommen mir schlagartig in den Sinn, aber vor allem Ola Olssons beschissene Idee, mich bei der Polizei für etwas anzuzeigen, was ich nicht getan habe.
»Alicja«, sagt er. »Ich wollte mich bei dir entschuldigen fü…«
Bevor er weiterreden kann, trete ich ihm mit voller Wucht gegen das Schienbein und schreie:
»Du Idiot!«
Dann knalle ich die Tür zu.
15
Noch ein paar Wochen, dann beginnt wieder die Schule.
Aber für den Rest der Ferien werde ich zu Hause das Heft in die Hand nehmen. Die Aussicht auf das neue Schuljahr macht mich erstaunlich hellsichtig und entschlossen. Schluss mit den Lügen und dem verrückten Chaos! Pan Bogusław musste mir versprechen, dass sie bald fertig sind. Er hat es zwar schon mindestens vier Mal versprochen, aber jetzt, beim fünften Mal, ist es verbindlich. Sylwia und Celestyna sind in Simrishamn (und noch ahne ich nicht, dass die beiden uns das größte Drama des Sommers bescheren werden). Ola Olsson wird sich sicher für immer von mir fernhalten, worüber ich nicht traurig bin. Auch steht keine Polen- oder Papstreise an, und zum Psychologen muss ich auch nicht mehr. Es gibt also nichts, was mich aus dem Gleichgewicht bringen könnte. Ich habe alles unter Kontrolle.
Zum ersten Mal seit zwei Monaten habe ich das Gefühl, ich könnte den Sommer genießen. Jedenfalls kann mich nichts und niemand mehr daran hindern. Ich werde endlich schöne, erholsame Ferien haben.
»Wenn du willst, kann ich mich um den Handwerker kümmern«, sage ich auf Schwedisch zu Mutter, damit PanBogusław es nicht versteht. »Dann kannst du dich in Ruhe um alles andere kümmern.«
Die Alicja der Zeit vor dem August ist nur noch eine blasse Erinnerung. Von jetzt an werde ich die personifizierte Hilfsbereitschaft und Güte sein.
»Das wäre schön«, antwortet Mutter und lächelt dankbar.
Nachdem Mutter geschätzte hundert Mal im Baumarkt war, um Rohre, Muffen und Schellen zu kaufen, die dann doch die falschen Maße hatten, muss Pan Bogusław mit nach Ystad fahren und selbst kaufen, was er für die diversen Küchenanschlüsse braucht. Als das erledigt ist, sitzt er steif auf dem Rücksitz des Olvo und schaut mit großen Augen auf die Schaufenster, an denen wir vorüberfahren. Wir wollen noch zum Einkaufen ins Zentrum.
»Ich bin in einer halben Stunde zurück«, sagt Mutter, als sie uns vorm Kaufhaus Åhlens aussteigen lässt.
Eingeschüchtert lässt mir Pan Bogusław an den großen Glastüren den Vortritt.
Ich sage ihm, dass ich in seiner Nähe bleibe und er mich rufen soll, wenn er Hilfe oder meine Dolmetschdienste braucht, dann trennen wir uns.
Ich gehe zur Buch- und Papeterie-Abteilung, wo schon große blaue Endlich-fängt-die-Schule-an-Schilder von der Decke hängen. Ich sehe ein paar Gesichter, die ich aus der Schule kenne, aber zum Glück ist niemand aus unserer …
OLA OLSSON! Ola Olsson steht in der Krimi-Ecke, und eben gerade hat er mich entdeckt. Uaaaaahhh!
Aber die Alicja in Ferienstimmung wird nicht treten, schreien oder fluchen. Sie nimmt nur seelenruhig ein Buch aus der Ramschkiste und würdigt den jungen Herrn, der sievon der Polizei verhaften ließ, keines Blickes. Es ist ihr auch nicht peinlich, dass sie ein Buch mit dem Titel Nie mehr müssen müssen – Ihr Weg aus der Inkontinenz erwischt hat, vielmehr stellt sie mit großem Interesse fest, dass gegen leichte Inkontinenz zusammengekniffene Pobacken helfen. Sie fragt sich nur, warum Inkontinenz bei Frauen häufiger vorkommt als bei Männern. Dann hört sie eine Stimme.
»Hallo.«
»Hallo«, antworte ich kälter als das kälteste Fach der Tiefkühltruhe.
»Bitte verzeih mir, was passiert ist!«
Ich sage nichts, sondern versenke mich nur noch tiefer in mein Buch, dem ich entnehme, dass es vier Arten von Inkontinenz gibt, wovon die Stressinkontinenz die am weitesten verbreitete ist.
»Alles ist so falsch gelaufen.
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