Widerspruch zwecklos oder Wie man eine polnische Mutter ueberlebt
und verspüre den unwiderstehlichen Drang, ein eventuelles Missverständnis aufzuklären. »Ich bin nicht inkontinent, falls du das denkst. Höchstens als ich noch Windeln anhatte, also als Kind, jetzt nicht mehr.« Meine Stimme wird umso schwächer, je klarer mir wird, wie das für ihn klingen muss. »Ich trag ja keine Windeln.«
» Y ou heff to zpeak louder!«, ruft jemand von ganz hinten in der Touristentraube.
»Trotzdem danke«, fahre ich fort.
Auf biologisch kaum erklärbare Weise beginnen jetzt meine Beine abzuschmelzen. Jetzt, wo Ola wieder vor mir steht, begreife ich erst, wie verliebt ich in ihn bin und dass ich es schon seit Vadstena war. Davon abgesehen, dass er mir die Polizei auf den Hals gehetzt hat, ist Ola Olsson der bezauberndste, liebste Mensch, den ich jemals getroffen habe, und dazu sieht er noch am besten aus. Sogar sein leichter Skåne-Sound klingt wie Musik in meinen Ohren.
»Sollten wir vielleicht woanders hingehen?«, schlägt er vor.
Ich nicke.
»Und wo?«
»Egal«, sage ich.
Dann gehen wir langsam zwischen den Steinen hindurch, und alles, woran ich denken kann, ist, dass unsere Arme kurz davor sind, sich zu berühren. Ich versuche mich an die Gesprächsthemen zu erinnern, auf die ich mich vorbereitet habe, aber es ist alles weg.
»Also …«, beginne ich.
»Also …«, sagt Ola und lächelt.
»Also …«, sage ich wieder, »… wie … wie war dein Sommer?«
»Spannend«, sagt Ola.
»Und wieso?«
Genau da berühren sich unsere Arme zum ersten Mal. Mich durchzuckt eine Art Stromschlag, und ich ziehe den Arm schnell weg.
»Oder nein, eigentlich nicht«, sagt Ola, der auch den Eindruck macht, als sei er ein bisschen aus dem Gleichgewicht. »Und wie war deiner?«
»Auch nicht spannend«, sage ich. »Normal halt, so wie immer.«
»Wie bei mir.«
Während wir schweigend weitergehen, schaue ich nach unten, und wenn mich nicht alles täuscht, zittern Olas Beine genauso wie meine. Was ja wohl heißt, dass er genauso nervös ist wie ich. Weil er dasselbe fühlt wie ich?
»Also …«, sagt jetzt Ola wieder.
»Also …«, sage ich.
»Also … du bist zur Hälfte polnisch, richtig?«
»Ja«, sage ich. »Die linke Seite. Die rechte ist schwedisch. Wenn sie sich bei Fußballländerspielen streiten, kann das ganz schön stressen.«
»Wen findest du besser?«
»Kommt drauf an«, sage ich. »Meistens den, der gewinnt.«
»Has already ze tour started or not? «
Wir drehen uns um und sehen, dass uns eine kleine Traube deutscher Touristen nachgelaufen ist.
»Und wie werden wir die jemals wieder los?«, fragt Ola lachend.
»Keine Ahnung«, sage ich. »Hast du eine Idee?«
»Ja. Vielleicht.«
Ola macht einen Schritt in meine Richtung.
»Und die wäre?«, frage ich schwach.
»Alicja …«
Aber bevor er weiterreden kann, sind unsere Gesichter schon ganz nah, und wir küssen uns. Ola schlingt die Arme um mich, und ich spüre seinen Körper, der nach Seife und nach Sommer riecht. Seine Lippen sind weich, und mich durchrieselt es bis hinunter in die Zehen und wieder zurück.
Das mechanische Klicken im Hintergrund höre ich trotzdem. Die Touristen haben ihre Kameras gezückt und fotografieren uns, während wir uns küssen.
»Die Schweden!« , höre ich einen von ihnen fröhlich in die Runde rufen. Es klingt, als hätte er schon lange auf etwas gehofft, was wir ihm endlich bestätigen.
17
»Bist du verliebt, oder was ist mit dir los?«, fragt Mutter misstrauisch, als ich den Müll raustragen will, obwohl ich schon drei Mahlzeiten hintereinander den Abwasch gemacht habe.
»Verliebt?«, sage ich. »Nein, nein, nein.«
Ich greife mir die Mülltüte und bin schnell weg, bevor ich noch mehr solche Fragen beantworten muss. Das wäre um ein Haar ins Auge gegangen. Ich muss aufhören, mich wie eine Volltrine aufzuführen. Aber sosehr ich es auch versuche, ich weiß einfach nicht mehr, wie man sich normal benimmt.
Als Mutter sagt, ich soll den Rasen mähen, mähe ich ihn und tanze und lache auch noch dabei. Als ich einen großen Ast beiseiteräume und in einen kleinen Asselregen gerate, schüttle ich die Tierchen vorsichtig ab, um nur ja keins zu töten. Den Regenguss auf die Wäsche, die ich gerade zum Trocknen aufgehängt habe, quittiere ich mit einem amüsierten Kopfschütteln. Und als wir einen ganzen Tag lang ohne fließendes Wasser sind, weil Pan Bogusław versehentlich den Haupthahn abgestellt hat, schleppe ich Eimer für Eimer aus dem Garten ins Haus und schlage vor, wir sollten
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