Wie angelt man sich einen Earl
hatte, so hypersensibilisiert nahm sie plötzlich jede Kleinigkeit in sich auf. Die monotone Stimme des Standesbeamten, die ausdruckslosen Mienen der Trauzeugen, den schmucklosen Raum, der eher einem Büro glich, ohne Brautjungfern, Blumen, Musik und Familie. Eben alles, was diesen Moment zu einer Hochzeit gemacht hätte, anstatt zum trockenen Geschäftstermin.
Genau das hier wollte ich niemals erleben! schrie es in ihrem Inneren. Doch es war zu spät, um etwas zu ändern. Zwischen ihren romantischen Jungmädchenfantasien und der ausgemalten Traumhochzeit standen achtundzwanzig Jahre unter Chantelles Ägide und fünfzigtausend Pfund Schulden.
Ihre Stimme klang ruhig, sicher und ein wenig rau, als sie die alten, traditionellen Worte sprach wie unzählige Bräute vor ihr, in Kirchen und Kathedralen, in Privatkapellen auf herrschaftlichen Wohnsitzen oder in einem Standesamt wie diesem.
Als sie ihre Hände ineinanderlegten, befürchtete Angel, Rafe könne ihre innere Spannung fühlen, doch von außen war kein Zittern oder Beben zu bemerken. Und dann sprach Rafe wieder. Mit tiefer Stimme sagte er thee … und wife … und schob ihr einen Ring auf den Finger.
Wenn du nicht bald zur Vernunft kommst, wirst du dich in der Ehefalle wiederfinden, ohne Hoffnung auf Entkommen, hatte er sie erst vor Kurzem mit derselben Stimme gewarnt. Plötzlich sah Angel im Geist tatsächlich eine Falle vor sich, die zuschnappte. Trotzdem brachte sie es nicht fertig, den Blickkontakt zu ihm abzubrechen. Wie in Trance schob sie den Ring, den man ihr gegeben hatte, auf den Finger ihres Ehemanns . Allein das Wort jagte kalte Schauer über ihren Rücken.
Es war vollbracht …
Als der Standesbeamte etwas von ‚Mann und Frau‘ sagte, zuckte Angel zusammen – und noch heftiger, als er hinzufügte: „Sie dürfen die Braut jetzt küssen.“
Lächelnd sah sie ihrem Ehemann in die Augen und hoffte inständig, er möge nicht sehen, wie schwer ihr das fiel. Ihr Lächeln fand kein Echo bei ihrem frisch angetrauten Gatten. Darum schloss Angel die Augen in Erwartung einer Wiederauflage des Kusses, den er ihr im Santina-Palast gegeben hatte: bestimmt und kurz, wie ein Brandzeichen. Wenn er nur nicht merkte, wie verzweifelt sie sich danach sehnte!
Und dann war alles anders, als sie es gedacht, erhofft oder befürchtet hatte. Rafe zwang ihre Lippen auseinander, und ohne zu zögern ergab sich Angel willig seinem verzehrenden Kuss voller Leidenschaft. Gerade als ihr dämmerte, dass sie etwas Derartiges nicht zulassen sollte, zog er sich abrupt zurück und legte eine Hand auf ihre brennende Wange. In den rauchgrauen Augen blitzte ein Funke auf und entzündete ein Feuer in ihrem Inneren. Seine unverkennbare Befriedigung über ihre Reaktion entlockte Angel einen kleinen Laut, den man genauso gut als Protest wie als Zustimmung hätte interpretieren können. Was Rafe doch noch ein Lächeln entlockte.
Dann wandte sich das frisch getraute Paar wieder dem Standesbeamten zu, um die Urkunde zu unterschreiben. Während Angel zum ersten Mal ihren neuen Namen aufs Papier setzte, versuchte sie, ihre Fassung wiederzugewinnen.
Es war eine Sache, einen Mann seines Geldes wegen zu heiraten, eine rationale, allein von der Vernunft bestimmte Entscheidung. Etwas völlig anderes war es, sich nach diesem Mann zu verzehren, noch bevor die Tinte auf der Heiratsurkunde getrocknet war! Fast kam es Angel wie ein Betrug von ihrer Seite vor. Was würde Rafe sagen, wenn sie ihm gestand, dass sie sich doch nach einer romantischen Beziehung sehnte? Ein schüchterner Blick auf sein Gesicht reichte ihr als Antwort.
Die kalte, ausdruckslose Maske war wieder auf ihrem Platz.
Wenn du nicht bald zur Vernunft kommst, wirst du dich in der Ehefalle wiederfinden, ohne Hoffnung auf Entkommen …
Jetzt saß sie wirklich in der Falle! Rafe hatte dem Deal zugestimmt, weil sie ihm glaubhaft und immer wieder versichert hatte, es nur auf sein Geld abgesehen zu haben. Wahrscheinlich hatten ihm andere Frauen amouröse Absichten vorgespielt und ihn dann bitter enttäuscht, weshalb er nicht mehr an echte Gefühle oder Liebe glaubte. Sein Zynismus sprach jedenfalls dafür.
Und nur weil sie sich in ihren Emotionen getäuscht hatte, durfte sie seinem Schmerz nicht noch ihren aufladen. Für sie waren es einfach nur Narben, die er im Gesicht trug, doch Rafe hatte ihretwegen wahrscheinlich oft genug gelitten und trug schwer daran. Auf keinen Fall durfte sie diese Last noch vergrößern, egal, was es sie
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