Wie ausgewechselt
nickte, auf meinem Sitz wartete ich auf eine Entscheidung. Es war kurz vor neun Uhr, als der Kapitän eine Borddurchsage an die Passagiere richtete: ›Weil 80 Prozent der Fluggäste ohnehin nach Bremen wollen, fliegen wir nun direkt. Das ist ein Ausnahmefall. Ich bitte die anderen Gäste um Verständnis.‹ Ich war erleichtert und bedankte mich bei den Betroffenen, jeder bekam ein Fläschchen Sekt aus der Bordküche. Unter den Gästen war die Siemens-Vorstandssekretärin Bartsch-Giehr aus München. Wir besorgten ihr eine Karte für das Spiel gegen Braunschweig, bezahlten die Übernachtung im Hotel Crest. Da muss man sich ja erkenntlich zeigen. Vizepräsident Fischer und Präsident Böhmert waren glücklich über meine Flugzeugentführung – ich auch. Hat ja etwas gebracht. Gegen Braunschweig siegten unsere Jungs am Abend im Weserstadion mit 3 : 1 nach einem 0 : 1-Rückstand. «
Zur Saison 1979/80 verpflichtet Rudi Assauer neben den Talenten Jonny Otten und Hans-Jürgen Offermanns den österreichischen Stürmer Gerhard Steinkogler, der sich allerdings gleich im Training die Bänder reißt, über Monate ausfällt und nur eine Saison bleibt. Viel mehr Aufsehen erregt jedoch die Verpflichtung des englischen Nationalspielers Dave Watson von Manchester City für eine Ablösesumme von 800 000 DM. Assauer und Weber hatten ihn beobachtet und für gut befunden. Der Brite soll den Abgang des Dänen Per Röntved kompensieren, der Bremen nach sieben Jahren verlässt und in seine Heimat zurückkehrt. Torhüter Burdenski urteilt im Rückblick über seinen damaligen neuen Vordermann Watson: »Ein sensationeller Kopfballspieler, zweikampfstark, groß gewachsen – eine richtige Kante. Wir staunten nicht schlecht, denn Watson war zu dieser Zeit immerhin kurzzeitig Kapitän der englischen Nationalelf. Bei solchen spektakulären Transfers war Rudi Assauer ein Vorreiter. Er hatte einfach den Mut, so etwas durchzuziehen. Es war damals nicht so ohne, einen derartigen Kracher zu holen. Er musste sich gegen viele Skeptiker im Verein und Widerstände von den Medien durchsetzen – wegen umgerechnet 400 000 Euro, lächerlich im Vergleich zu den heutigen Verhältnissen.«
In seinem ersten Spiel, einem Test gegen Leeds United, macht Watson einen hervorragenden Eindruck, die Abwehr steht trotz der Sprachprobleme gut – die Folge: ein 0 : 0. Im nächsten Spiel, dem Bundesligastart gegen Bayer Uerdingen, bestätigt er sein Können, organisiert seine Vorderleute, gewinnt nahezu jedes Kopfballduell und jeden Zweikampf. Werder siegt 1 : 0, und Assauer ist happy über seinen Coup. Doch im zweiten Ligaspiel am 18. August 1979 beim TSV 1860 München kommt es zum Eklat um Watson.
»Nach dem Führungstor von unserem Werner Dreßel gerieten wir fahrlässig in Rückstand, die Löwen aus München führten 2 : 1. Watson war ungehalten, da es nicht lief. Er war mit sich und der Leistung seiner Nebenleute nicht zufrieden. In der 36. Minute ist es dann passiert. Er wurde vom Münchner Hermann Bitz provoziert und ließ sich zu einer Tätlichkeit hinreißen. Eine unmögliche Geschichte, ich erinnere mich noch genau. Nach einem Zusammenprall rannte Bitz plötzlich auf Watson zu und traf ihn mit dem Kinn. Da musste ich natürlich wieder dran denken, als der Italiener Marco Materazzi den französischen Superstar Zinedine Zidane im WM-Finale 2006 in Berlin ähnlich provoziert hatte, bis ihn der Franzose niederrammte. Und was hat Watson gemacht? Meine Güte, der ist so erschrocken, dass er seinem Gegenüber richtig eine geknallt hat. Nicht die feine englische Art, eine brutale Tätlichkeit. Bitz sackte wie vom Blitz getroffen zusammen und lag am Boden. Dem Schiedsrichter blieb nichts anderes übrig, als Watson die Rote Karte zu zeigen. Ohne ihn waren wir chancenlos, haben in München 1 : 4 verloren.
Das Strafmaß des DFB war hart und für mich etwas überzogen. Watson wurden ganze acht Wochen Sperre aufgebrummt. Als diese im Oktober abgelaufen war, sollte er gegen Schalke auflaufen, hatte sich jedoch zuvor im Training das Knie verletzt. Trainer Wolfgang Weber stimmte einer Pause zu, ich war dagegen. Ich dachte mir, unser Engländer könne doch zumindest mitreisen, um sich besser zu integrieren. Doch Watson weigerte sich. Das hat mich wütend gemacht, er war schließlich ein Teil der Mannschaft, da muss man mitziehen. Ich habe ein Schreiben aufsetzen lassen, in dem ich ihm mitgeteilt habe, dass er für sein Fernbleiben beim Schalke-Spiel eine Strafe von 5000 DM zu
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