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Wie ausgewechselt

Wie ausgewechselt

Titel: Wie ausgewechselt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rudi Assauer , Patrick Strasser
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einfahren. Zur Not mit einem 0 : 0. Man hat sich in Gelsenkirchen schon eine Woche vorher dem Schicksal ergeben, dem ewigen Bayern-Dusel. Denn vor dem 33. Spieltag ist man noch Tabellenführer, und das bis zur letzten Minute. Schalke hält in Stuttgart tapfer ein 0 : 0, und Bayern müht sich im Olympiastadion gegen Kaiserslautern ab, kommt aber über ein 1 : 1 nicht hinaus. Für Schalke wäre das eine ideale Ausgangssituation. Punktgleich gingen sie dann in den letzten Spieltag, ein Sieg gegen Haching – und fertig wäre der erste Titel nach 43 Jahren Warten und Leiden. Doch in lächerlichen sieben Sekunden dreht sich das Bild am 12. Mai. Ein Tor hier, ein Tor dort. Krassimir Balakov trifft für den VfB Stuttgart gegen Schalke zum 1 : 0, und sieben Sekunden später macht der gerade eingewechselte Alexander Zickler für die Münchner das 2 : 1 gegen Lautern. Die Bayern können ihr Sekundenglück kaum fassen. Sie sind nun praktisch Meister, der letzte Spieltag nur noch ein Schaulaufen der Münchner.
    Andreas Müller, der Schalker Teamassistent und Azubi von Rudi Assauer, kramt am Mittag des 19. Mai 2001 ein altes Trikot vom HSV aus dem Schrank. »Ich hatte das als Aktiver einmal mit Niko Kovac getauscht. Mir kam spontan die Idee, das Ding ins Parkstadion mitzunehmen«, erinnert sich Müller. »Als ich zum Stadion gefahren bin, dachte ich mir: Ach, komm. Warum nicht? Irgendwie hatte ich so ein Gefühl, dass es hilft, damit etwas Unglaubliches passiert. Ich habe es übergezogen und mich so auf die Tribüne gesetzt.« Unten zwischen Kabine, Innenraum und Tartanbahn schlendert Rudi Assauer herum. In sich gekehrt, melancholisch, wehmütig. In der einen Hand eine Zigarre, mit der anderen wischt er sich ein paar Tränen von den Wangen.
    »Ich habe in diesen Momenten mit niemandem sprechen wollen. Mir ging die ganze Geschichte dieses Stadions durch den Kopf, dazu meine eigene hier als Manager bei Schalke. Die Jahre nach meinem Einstieg 1981, all die turbulenten Zeiten, Abstieg, Aufstieg, das 6 : 6 gegen die Bayern im DFB-Pokal, meine Entlassung 1986, meine Rückkehr 1993, die Feier nach dem UEFA-Cup-Sieg 1997. Ich lehnte mich an die Trainerbank, Gedanken schossen mir durch den Kopf wie: nur noch 90 Minuten hier. Dieses Stadion wird leider keine Meisterschaft mehr erleben, daher soll es wenigstens ein schöner Abschied werden. Ein Sieg, eine fröhliche Feier des zweiten Platzes – immerhin hatten wir uns das erste Mal für die Champions League direkt qualifiziert, die Spiele finden dann drüben in der neuen Arena statt.«
    Niemand konnte ahnen, dass dieses Stadion mit dem letzten Spiel seine größte Stunde erleben sollte. 65 000 Zuschauer sind zur Huldigung des WM-Stadions von 1974 gekommen, manche klettern schon Stunden vor Anpfiff in die Baumkronen hinter der offenen Gegengeraden. Dabei sein ist alles. Sag zum Abschied leise Glück auf! Ein buntes Rahmenprogramm darf nicht fehlen: Musikkapellen, Polonaisen, auf der Gegengerade bereitet man eine große Choreografie für die Sekunden vor dem Anpfiff vor. FDP-Politiker Jürgen W. Möllemann, bei Schalke Aufsichtsratsmitglied, bringt den Ball per Fallschirmsprung in den Mittelkreis des Platzes. »Danke, Parkstadion« steht auf einem Banner, das wie die gute, alte Werbung an Italiens Stränden der 80er-Jahre von einem Flugzeug gezogen wird. Fans seufzen gerührt. Eine gelungene Aktion des Schalker Fanklub-Verbandes. Eine bunte Jahrmarktatmosphäre.
    Und mittendrin ein Gegner, die Spielvereinigung Unterhaching. Eine Mannschaft, die ums Überleben kämpft, gegen den Abstieg. Die Mannen aus der Münchner Vorstadt suchen die Flucht nach vorne. Schalke ist ergriffen – und liegt schnell hinten: 0 : 2. Der Außenseiter führt. Nico van Kerckhoven und Gerald Asamoah treffen in den letzten beiden Minuten vor der Pause für die Knappen: 2 : 2 zur Halbzeit, eher peinlich als feierlich. Die Fans nehmen es hin, denken sich: typisch Schalke. Und in Hamburg? Nichts. 0 : 0. Alles wie erwartet. Dem FC Bayern fehlen lockere 45 Minuten zum Titel. Pay-TV-Sender Premiere bittet Bayerns Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge und Rudi Assauer vor die Mikrofone. »Wollen Sie Herrn Rummenigge schon zum Titel gratulieren?« Assauer antwortet trotzig und mit eher gespielter Hoffnung: »Nein. Der Kalle weiß, was im Fußball noch alles passieren kann.« Rummenigge grinst in sich hinein.
    »Bewundernswert, wie die Hachinger auch nach der Pause verzweifelt und aufopferungsvoll gegen den Abstieg gekämpft

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