Wie Blueten Am Fluss
aber sie fügte
Details hinzu, die ihren Träumen vertraut geworden waren, eine schmale Nase und feingemeißelte
Züge, die wunderschön anzusehen waren.
Das Antlitz zog sich in den Hintergrund zurück, und mit einem enttäuschten Seufzen mühte Shemaine
sich, die nebelhaften Schatten des Schlafs zu durchdringen. Ihre Gedanken schienen seltsam losgelöst
zu sein, und in ihrem Mund blieb unerklärlicherweise ein berauschender Geschmack zurück, der
irgendwie Ähnlichkeit mit dem hatte, was sie im Atem ihres Herrn gerochen hatte, nachdem er mit
seinen Angestellten ein letztes Glas Bier getrunken hatte. Sie leckte sich die Lippen, kostete das
Aroma noch ein letztes Mal voll aus und sehnte sich nach einem neuerlichen Kuß ihres Ritters. Der
letzte war der schönste von allen gewesen!
Die Wirklichkeit ließ sich jedoch nicht länger leugnen. Während sie langsam aber sicher in die
Gegenwart zurückkehrte, blickte Shemaine durch die Dunkelheit in das Gesicht des Mannes, der sie
betrachtete; plötzlich bemächtigte sich eine seltsame Verwirrung ihrer Gedanken. War er der Mann
aus ihrem Phantasiegebilde? Oder träumte sie immer noch? Dann sah sie ein Lächeln über die schönen
Lippen huschen, und ein leises Murmeln bestätigte ihr, daß sie endgültig wach war.
»Ich dachte schon, ich würde dich hinauftragen müssen.«
»Sind wir zu Hause?« fragte sie und sah sich langsam um.
»Jawohl, gesund und ziemlich munter.«
Shemaine bemerkte, daß er den Arm um sie gelegt hatte, unternahm aber keinerlei Anstrengung, sich
von ihm zu lösen. Sein Arm schenkte ihr Wärme und Trost, aber vor allem genoß sie es, ihn einfach zu
spüren. »Wie lange habe ich denn geschlafen?«
Als Gage die Schulter hochzog, wurde hinter ihm der Mond sichtbar. »Du bist eingeschlafen, kurz
nachdem wir Newportes Newes verließen. Ich hatte den Eindruck, du wolltest die ganze Nacht
durchschlafen.«
»Ich habe geträumt«, seufzte sie.
Gage beugte sich vor, um im Schatten der Nacht in ihren Zügen zu forschen. »Wovon hast du denn
geträumt, mein Herz?«
Shemaine wandte das Gesicht ab, denn sie wollte ihm nicht antworten. Wenn sie überhaupt geträumt
hatte, dann wollte sie ganz gewiß nicht, daß er von den Höhenflügen ihrer Phantasie erfuhr. Und wenn sie nicht geträumt hatte, dann war es vielleicht das beste, wenn sie nichts von dem erfuhr, was sich zwischen ihnen ereignet hatte. »Wir sollten jetzt wohl ins Haus gehen.« Sie rieb sich die Arme und schauderte, als ein jäher Windstoß sie erfaßte. »Ich friere.«
Gage sprang leichtfüßig vom Kutschbock und streifte, während er auf ihre Seite kam, seinen Mantel
ab. Als sie sich ihm zuwandte, nahm er den Reiher von ihrem Schoß und reichte ihn ihr mit einem
Lächeln. Dann hob er sie herunter, legte ihr das viel zu große Kleidungsstück um die Schultern und
griff nach ihrer freien Hand, um sie in die Hütte zu geleiten. Im hinteren Flur blieb er kurz stehen, um zwei Kerzen zu entzünden, die er dann in einem Kerzenständer auf die Treppe stellte, während sie benommen dastand und die Holzfigur bewunderte.
»Ich muß mich um den Wallach kümmern«, sagte er und trat noch einmal dicht an sie heran, um ihren
süßen Duft auszukosten.
»Hat er einen Namen?« fragte Shemaine und blickte mit einem unterdrückten Gähnen zu ihm auf.
Gage grinste auf sie hinab, während er ihr seinen Mantel von den Schultern nahm und ihn über den
hohen Hocker vor seinem Schreibtisch legte. »Früher.«
»Früher?« wiederholte sie ein wenig verwundert. »Das ist aber ein seltsamer Name für ein Pferd.«
»Jawohl, aber er bringt uns früher an unser Ziel als die Stute.«
Sie lächelte verschlafen über seinen Witz. »Und der Name der Stute?«
»Später.«
»Früher? Und Später?«
Er nickte kurz.
»Gott sei Dank haben Sie Ihren Sohn nicht auch nach einer solchen Logik benannt.«
Seine Mundwinkel zuckten belustigt. »Victoria hat es mir nicht erlaubt.«
»Na, ich würde Ihnen solche Mätzchen auch nicht erlauben, wenn ich Ihre Frau wäre«, erwiderte
Shemaine, die ein neuerliches Gähnen unterdrücken mußte.
Gages Augen glitzerten vor Vergnügen, und plötzlich hatte er ihre ungeteilte Aufmerksamkeit. »Das
werden wir ausführlicher besprechen, nachdem du unser erstes Kind zur Welt gebracht hast.«
Der letzte Rest von Müdigkeit verflüchtigte sich im Nu, und Shemaines Kopf schnellte in die Höhe.
Sie starrte ihn sprachlos an, denn sie wußte nicht, ob er sie nur wieder
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