Wie Blueten Am Fluss
Potts
kleiner ist als der Durchschnittsmann.«
Seine Tochter wagte ein Lächeln, aber es war ziemlich schwach und nicht sehr überzeugend.
»Gütiger Himmel!« platzte Shemus heraus. »Das Mädchen hat den Verstand verloren!«
»Wie groß ist dieser Potts denn nun?« fragte Camille bang.
Shemaine nagte verlegen an ihrer Unterlippe. Es fiel ihr unendlich schwer, dem ängstlichen Blick ihrer Mutter standzuhalten, während sie versuchte, sich auf eine unverbindliche Antwort zu besinnen. »Eher groß, würde ich sagen.«
Shemus hatte keine Geduld mit ihrem Ausweichmanöver. »Wie groß genau ist dieser Mann, Tochter?«
»Hast du schon Sly Tucker kennengelernt?« fragte Shemaine und hoffte inbrünstig, daß das nicht der
Fall war.
»Oh, nein« stöhnte Camille und preßte sich entsetzt eine Hand auf den Mund.
Von Shemus kam ein zorniges Brüllen. »Ist dir jemals in den Sinn gekommen, Tochter, daß ein
solcher Mann dich an Ort und Stelle hätte töten können?«
Mary Margaret, die sich an der Situation ergötzte, wie kaum in ihrem ganzen Leben, antwortete an
Shemaines Stelle. »Oh, dieser große Ochse hat es tatsächlich versucht, aber unser hübscher Mr.
Thornton ist wie ein wütender Stier zu ihrer Rettung geeilt. Hat den Schlammfresser mit einem Tritt
auf die Straße befördert, jawohl!«
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»Ich gehe hinein!« erklärte Camille schwach. »Ich habe mehr erduldet, als ich an einem Tag
verkraften kann! Und möge ich nie wieder einen Tag wie diesen erleben!«
Shemaine stieß einen Seufzer aus und war dankbar dafür, daß sie den schlimmsten Teil des Verhörs
durch ihre Eltern hinter sich hatte.
»Diese elende Wildnis ist schuld!« giftete Shemus, bevor er seiner entnervten Frau folgte. »Sie sollte mit uns zurück nach Hause kommen! Mit dem ersten Schiff, das nach England segelt!«
Mit den O'Hearns gingen auch alle übrigen außer den Zwillingen und dem Marquis hinein. Maurice,
den ihre Eskapade überaus erheitert hatte, sah Shemaine ehrfurchtsvoll an. »Ich war schon immer der
Meinung, daß du das Zeug dazu hast, einen Mann umzuwerfen, Shemaine. Es verschafft mir eine
ehrliche Befriedigung, zu erfahren, daß ich, was dich betrifft, die ganze Zeit über richtig gelegen
habe.«
»Ich finde, sie ist wunderbar!« meldete Gabrielle sich zu Wort. Sie war jetzt überaus neugierig, zu
erfahren, welcher Art die Beziehung zwischen dem Marquis und der Frau des Siedlers sein mochte,
denn sie argwöhnte, daß die beiden irgendwann in der Vergangenheit einander mehr gewesen sein
mußten als flüchtige Bekannte. Sie beschloß, ihre Neugier zu befriedigen. »Sind Sie beide schon lange
befreundet?«
Maurice' dunkle Augen schimmerten vor Bewunderung, als er seine ehemalige Verlobte betrachtete.
Es war ihm nicht im mindesten peinlich, zu erklären, daß sie die Frau war, die er gerne geheiratet
hätte. »Shemaine war meine Verlobte, bevor Mr. Thornton sie mir gestohlen hat.«
»Oh«, hauchte Gabrielle, aber ihre Stimme wurde kräftiger, als sie fragte: »Ich dachte, wenn ein Paar
verlobt ist, wäre das schon fast wie verheiratet.«
Shemaine errötete heftig, denn sie hatte nicht den Wunsch, das Ganze näher zu erklären. »Maurice und
ich wurden getrennt, und ich hatte keinen Grund, zu hoffen, daß wir einander jemals wiederfinden
würden.«
»Wie traurig«, meinte Garland voller Mitleid.
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»Ach, eigentlich nicht«, sagte Shemaine nun offen. »Verstehen Sie, ich liebe meinen Mann sehr.«
»Aber Sie müssen doch auch den Marquis geliebt haben«, warf Gabrielle ein.
»Ja, aber vielleicht nicht so tief, wie ich das früher einmal gedacht haben mag«, gestand Shemaine
leise und sah dabei tapfer in die schönen dunklen Augen, die sie durchdringend musterten. »Maurice
und ich haben uns von der Schönheit des Augenblicks hinreißen lassen. Er ist so attraktiv...« Sie hielt kurz inne, denn sie wollte einerseits die Wahrheit sagen, andererseits aber nicht die Gefühle verletzen, die er vielleicht noch für sie hegte. »Aller Wahrscheinlichkeit nach war ich sehr überwältigt und... und fühlte mich geschmeichelt von seiner Aufmerksamkeit.«
Gabrielle, die von einem zum anderen sah, verstand ihre Erklärung vollkommen. Die beiden hätten ein
schönes Paar abgegeben. Andererseits war sie geneigt, zu glauben, daß Mr. Thornton auch kein
unwürdiger Partner für ihre Gastgeberin war. Sie wäre vielmehr außerstande gewesen, zu entscheiden,
welcher der beiden Männer der attraktivere war. Da ihre
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