Wie Blueten Am Fluss
Schwester es nie wagen würde, den Marquis
nach seinen gegenwärtigen Lebensumständen zu fragen, mußte sie wohl die notwendigen
Erkundigungen einziehen. »Gibt es in England ein Mädchen, dem Sie gegenwärtig den Hof machen?«
Garland spürte, wie ihr der Kiefer nach unten klappte. Sie schämte sich furchtbar, daß ihre Schwester
so ungeniert sein konnte, und beeilte sich, dem Mann zu raten: »Sie brauchen diese Frage nicht zu
beantworten, Mylord. Meine Schwester muß wahrhaftig alles vergessen haben, was unsere Mutter ihr
an guten Manieren beizubringen versucht hat.«
Maurice war jedoch nicht gekränkt. Er hatte sich in seinem Verlangen nach Shemaine zu lange
verzehrt. Nachdem er sie nun verloren hatte, wußte er, daß er unbedingt eine andere Frau finden
wollte, die genauso bewunderungswürdig war wie sie. Er mußte über den Schmerz hinwegkommen,
der noch immer in ihm nagte. In Wahrheit hätte er Shemaine überglücklich zurückgenommen und sie
nie bedauern lassen, was in der Zeit ihrer Trennung geschehen war. Doch Garland war eine
liebreizende junge Frau, und ihre aufrechte, stille Art gefiel ihm. Dennoch konnte er nicht
vorhersagen, wie sich ihre Beziehung entwickeln würde, war aber andererseits durchaus bereit, ihr
eine gewisse Aufmerksamkeit zu zollen, während er abwartete, was sich weiter zwischen Gage und
Shemaine abspielte. »Jetzt, da Shemaine mit Thornton verheiratet ist, Gabrielle, muß ich wohl in naher Zukunft beginnen, nach einer anderen jungen Dame Ausschau zu halten.«
Das Lächeln, mit dem die junge Frau diese Worte aufnahm, war das spitzbübischste, das er je gesehen
hatte. Als sie zum Sprechen ansetzte, war er daher auf einiges gefaßt.
»Vielleicht möchten Sie uns ja einmal in unserem Haus flußaufwärts besuchen, wenn wir aus New
York zurück sind«, meinte sie. »Ich schaue schon lange nach einem passenden Gemahl für meine
Schwester, damit ich unser Zimmer endlich für mich allein habe...«
»Gabrielle!« stieß Garland empört hervor. »Wie kannst du es wagen, anzudeuten, der Marquis könne
sich möglicherweise für mich interessieren! Wir sind uns gerade erst vorgestellt worden.«
Gabrielle ignorierte den Ausbruch ihrer Schwester. »So wie die Dinge halt liegen, müssen wir uns ein
Zimmer teilen, und sie nimmt alles so genau! Ständig liegt sie mir in den Ohren und erzieht mich, weil ich angeblich so unordentlich bin. In Wahrheit habe ich es nur gerne etwas behaglicher als sie.«
Maurice erkannte sofort den Vorteil, daß er, falls er ernsthaft beabsichtigte, ihrer Schwester offiziell den Hof zu machen, in Gabrielle eine Verbündete haben würde. »Wenn Sie mir sagen, wann mit Ihrer Rückkehr zu rechnen ist, werde ich Ihrer reizenden Familie mit Freuden einen Besuch abstatten.«
»Gütiger Himmel!« flüsterte Garland mit atemloser Bestürzung. Mit nervöser Hast strich sie ihr
Spitzenjäckchen glatt und wünschte nur, sie hätte einen Fächer, um ihr brennendes Gesicht zu kühlen.
Der Marquis war der Inbegriff dessen, was sie sich von einem Ehemann erträumt hatte, aber sie hatte
nie erwartet, daß er um sie werben würde. Die empörende Dreistigkeit ihrer Schwester entsetzte sie...
obwohl sie ihr andererseits durchaus dankbar war.
Bess trat auf die Veranda hinaus und machte sich daran, Decken
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über die provisorischen Tische zu legen, die die Lehrlinge aufgestellt hatten. »Haben wir denn
überhaupt genug Geschirr für alle, mein Liebling?«
»Ja, ich bin gleich bei dir und zeige dir, wo du alles findest, Bess«, erwiderte Shemaine. Dann stieg sie die Stufen hinauf, wo sie neben ihrem ehemaligen Verlobten stehenblieb, um ihm sacht eine Hand auf den Arm zu legen. »Ich bin froh zu sehen, daß es vielleicht doch noch zu etwas Gutem führt, daß du
den weiten Weg von England hierher gemacht hast, Maurice. Ich hoffe, daß du mir eines Tages
verzeihen kannst, daß ich mein Versprechen dir gegenüber gebrochen habe, indem ich Gage
heiratete.«
»Ich habe den Schmerz noch keineswegs verwunden, Shemaine«, erwiderte er freimütig mit
gedämpfter Stimme. »Ob du mich geliebt hast oder nicht, ich habe dich jedenfalls geliebt und wollte
dich zur Frau. Und da wäre noch eine andere Angelegenheit, um die ich mich kümmern muß, bevor
ich es in Erwägung ziehen kann, dich in der Obhut deines Mannes zu lassen. Es ist dein Leben und
dein Wohlergehen, das mir am Herzen liegt... und natürlich dein Glück.«
»Ich bin glücklich, Maurice, bitte,
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