Wie Blüten im Wind: Roman (German Edition)
schrie. Schon bald wusste sie nicht mehr, wie oft der Arzt ihr befahl, mit dem Pressen aufzuhören, wieder anzufangen und wieder aufzuhören. Es tat so weh, dass sie es kaum aushielt, und sie wünschte sich sehnlichst, jemand wäre bei ihr und sagte ihr, dass sie es gut machte. Dass alles gut werden würde. Wie im Film.
Und dann hörte sie ein Baby schreien. »Ein Mädchen«, sagte der Arzt lächelnd.
Lexi hatte nicht gewusst, dass ein Herz fliegen konnte, aber jetzt erfuhr sie es. Auf einmal war der Schmerz weg – und schon vergessen –, und sie wurde von Engeln in die Höhe gehoben. Sie sah, wie der Arzt das Baby – ihr Kind – der Schwester übergab. Unwillkürlich wollte sie die Arme ausstrecken. Ihr einer Arm hob sich, der andere spannte sich gegen die Handschelle.
»Ketten Sie sie los«, forderte der Arzt die Wärterin auf und nahm sein blaues Käppi ab. »Auf der Stelle.«
»Aber …«
Dr. Farst drehte sich zur Wärterin. »In diesem Zimmer bin ich der liebe Gott. Nehmen Sie ihr die Handschellen ab. Wenn es sein muss, lassen Sie ihr Fußgelenk angekettet. So bleibt die Gesellschaft vor diesem Teenager geschützt.« Er kam wieder zum Bett. »Sie sind noch jung«, sagte er.
Damit meinte er wohl, dass sie noch viel Zeit hatte, um eines Tages in einem solchen Zimmer ein Kind zu gebären, das sie mit nach Hause nehmen und lieben konnte. Dass sie eines Tages ihr eigenes Kind versorgen konnte.
Sie hätte ihm sagen können, dass er sich irrte, dass sie nicht mehr jung war und Träume so kurzlebig waren wie Luftballons, die in den Himmel stiegen und verloren gingen. Aber er war so freundlich, und sie war müde und wollte sich jetzt nicht den Tatsachen stellen.
Die Schwester gab ihr ein winziges rosafarbenes Bündel.
Ihre Tochter.
»Ich lasse Sie beide jetzt für eine Minute allein. Ich weiß … dass da jemand wartet.«
Einen Moment lang herrschte unbehagliches Schweigen, dann gingen der Arzt und die Schwester.
Voller Ehrfurcht blickte Lexi auf ihr Baby, fasziniert von seinem kleinen rosafarbenen Gesicht und den bogenförmigen Lippen, von den verschwommenen blauen Augen, die ein Geheimnis zu bergen schienen, das Lexi noch nicht entschlüsselt hatte. Sie berührte eins der Händchen, das so groß war wie eine Weintraube. »Ich hab dir so viel zu sagen, meine Kleine, aber du würdest dich nicht daran erinnern. Du würdest dich nicht an mich erinnern. Aber ich werde mich an dich erinnern.«
Sie drückte ihre Tochter eng an sich und versuchte, all ihre Liebe in sie strömen zu lassen, um ihr auf irgendeine Weise doch einen bleibenden Eindruck von ihr zu vermitteln. »Wie die Gänse«, flüsterte sie in das winzige muschelrosa Ohr ihrer Tochter, »die Babys werden beim ersten Anblick auf ihre Mama geprägt und vergessen sie nie mehr.«
Dann klopfte es an der Tür. Die Wärterin ging hin, sprach mit jemandem auf dem Flur und öffnete die Tür dann. Scot kam herein. Er wirkte wie immer etwas schlampig mit seinem billigen Anzug und der altmodischen Krawatte, aber sein Blick war so freundlich und mitfühlend, dass sie einen Anflug von Panik spürte. Instinktiv drückte sie ihr Kind an sich.
»Hey, Lexi«, sagte er. Dann bemerkte er den roten Striemen an ihrem Handgelenk und runzelte die Stirn. »Man hat Sie angekettet? Verdammte …«
»Ist schon gut«, erwiderte sie. »Sehen Sie nur.«
Scot beugte sich vor. »Sie ist wunderschön, Lexi.« Als er das sagte, schien sein Gesicht irgendwie einzufallen. »Es ist Zeit«, fügte er sanft hinzu.
»Ist er hier?«, fragte sie und spürte, wie ihr Herz trotz des drohenden Trennungsschmerzes einen Schlag aussetzte.
»Direkt vor der Tür.«
»Könnten Sie mir helfen, mich aufzusetzen, Scot?«
Er half ihr, dann trat er einen Schritt zurück. »Sind Sie sicher, dass Sie das tun wollen?«
»Was bleibt mir anderes übrig?«
»Sie müssen jedenfalls nicht das volle Sorgerecht abgeben. Wenn Sie freikommen …«
»Sehen Sie sie doch an«, unterbrach Lexi ihn und blickte auf ihre hinreißende Tochter. »Sie wird von ihnen geliebt werden. Sie wird sich geliebt fühlen . Und geborgen. Sie wird alles haben, was ich ihr nicht geben kann. Glauben Sie mir, Scot, sie braucht keine Mutter wie mich.«
»Da bin ich anderer Meinung, aber es ist Ihre Entscheidung«, entgegnete Scot. »Ich schicke ihn jetzt herein.«
Lexi setzte sich aufrechter hin, und dann war er da, auf der Türschwelle.
Sie hatte nicht erwartet, dass es so weh tun würde. Der Schmerz war heftiger als die
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