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Wie Blüten im Wind: Roman (German Edition)

Wie Blüten im Wind: Roman (German Edition)

Titel: Wie Blüten im Wind: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Hannah
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halten?«
    Jude fing an zu zittern. Die Kälte in ihrem Herzen strahlte bis zu ihren Fingern aus. Plötzlich wünschte sie sich, sie hätte einen Mantel mitgenommen. »Natürlich.« Sie zwang sich zu lächeln und streckte die Arme aus, nahm Mia – nein, Grace – in die Arme und drückte sie an sich.
    Liebe sie , dachte sie verzweifelt und mit wachsender Panik. Empfinde etwas.
    Aber da war nichts. Sie starrte auf ihre Enkelin, dieses Baby, das Mia so täuschend ähnlich sah, und empfand nicht das Geringste.
    Körperlich erholte sich Lexi rasch. Ihre Milch versiegte, ihre Brüste nahmen wieder ihre normale Größe an. Nach einem Monat zeugten nur noch die silbrig blassen Streifen auf ihrem Unterleib davon, dass sie je ein Kind bekommen hatte.
    Doch sie selbst fühlte sich, als wäre sie mit diesen feinen Streifen verblasst. Die Schwangerschaft hatte sie verändert. Ein Mädchen namens Alexa Baill war ins Krankenhaus gegangen, war ans Bett gekettet worden und hatte dem schönsten Baby der Welt das Leben geschenkt. Es hatte seinen Geliebten ein letztes Mal gesehen. Und dann war alles vorbei, und nach Purdy kehrte eine ältere und klügere Lexi zurück.
    Vorher war sie zerbrechlich, doch nicht ohne Hoffnung gewesen; das sah sie jetzt, so wie man einen fehlenden Zaunpfahl sah. Die Lücke fiel auf. Sie war erschüttert gewesen, gebrochen von ihrer schrecklichen Tat, aber sie hatte an Buße geglaubt, an die Macht der Gerechtigkeit. Sie hatte ihre Gefängnisstrafe als Buße betrachtet und gedacht, wenn sie büßte, würde ihr verziehen werden.
    So ein Schwachsinn.
    Ihr Anwalt hatte recht gehabt. Sie hätte vor Gericht kämpfen sollen, hätte sagen sollen, sie wäre jung und dumm gewesen, und es täte ihr leid.
    Stattdessen hatte sie das Richtige getan und war dafür bestraft worden. Sie hatte alles verloren, was ihr wichtig war, aber nichts tat so weh wie der Verlust ihres Kindes.
    In den zwei Monaten seit Grace’ Geburt hatte Lexi versucht, sich an ihr altes Ich zu klammern, aber das Beste in ihr schwand immer mehr. Tag für Tag versuchte sie, Briefe an ihre Tochter zu schreiben, doch scheiterte sie jedes Mal, und mit jedem Scheitern riss eine weitere Schicht von ihr ab, bis sie sich nackt und durchscheinend fühlte. Vor allem heute.
    Sie saß auf einer Bank im Hof. Unter einem blassblauen Himmel spielten ein paar Frauen in khakifarbener Kluft Basketball. Außerhalb der Gefängnismauern standen die Bäume in voller Blüte. Hier und da driftete eine rosafarbene Blüte über den Stacheldraht und schwebte auf den Betonboden wie ein kaum einzulösendes Versprechen.
    »Du siehst aus, als könntest du ein bisschen Aufmunterung brauchen.«
    Lexi blickte auf. Vor ihr stand eine Frau mit feuerrotem Stoppelhaarschnitt und blauem Stirnband. Aus ihrem Kragen lugte eine tätowierte Schlange. Sie war gedrungen, hatte kräftige Hände und eine Haut, die aussah, als hätte man sie mit Stahlwolle abgeschrubbt.
    Lexi kannte die Frau. Jeder kannte sie. Ihr Spitzname – Smack – sagte alles.
    Langsam stand Lexi auf. Seit sie hier war, hatte sie noch kein einziges Mal mit Smack geredet. Es gab nur einen Grund, sich mit Smack anzufreunden, und wenn man erst mal anfing, mit ihr zu reden, hörte man nie wieder auf.
    »Ich kann dafür sorgen, dass es nicht mehr weh tut«, sagte Smack.
    Lexi wusste, es war falsch und gefährlich, ihr dieses Versprechen abzunehmen, aber sie konnte nicht anders. Der Schmerz in ihr war unerträglich, vor allem heute. »Wie viel?«
    Langsam breitete sich ein Lächeln über Smacks Gesicht und enthüllte ihre braunen hässlichen Zähne. Das kam vom Meth. Zähne wie diese sah man hier überall. »Für das erste Mal? Für eine Süße wie dich? Ich denke …«
    »Lass die Finger von ihr, Smack.«
    Lexi sah, dass Tamica sich wie ein Grizzlybär zu ihr vorarbeitete. Sie drückte Lexi ihre mächtige Hand auf die Brust und schob sie heftig beiseite. Lexi stolperte und fiel fast hin. Doch sie gewann ihr Gleichgewicht wieder und stürzte sich vor. »Das ist meine Sache, Tamica. Du hast mir nichts zu sagen.«
    Tamica stellte sich dicht vor Smack. »Verschwinde, oder ich nehme dich auseinander wie einen Sperrholzschrank.«
    Lexi schob sich zwischen die Frauen. »Ich brauche es«, beharrte sie mit fast flehender Stimme zu Tamica. »Ich halte es nicht mehr aus. Ich will nichts mehr fühlen.«
    »Streck deine Hand aus«, flüsterte Smack.
    »Nein«, mischte Tamica sich ein. »Das lass ich nicht zu, hermana .«
    In reinster Qual

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