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Wie Blüten im Wind: Roman (German Edition)

Wie Blüten im Wind: Roman (German Edition)

Titel: Wie Blüten im Wind: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Hannah
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heulte Lexi auf und versetzte Tamica einen Faustschlag auf die Nase.
    Da ertönte ein Pfiff.
    Smack drückte Lexi zwei Pillen in die Hand und verschwand so plötzlich, als wäre sie nie da gewesen.
    »Bist du verrückt?«, fragte Tamica und taumelte zurück. »Ich weiß gar nicht, warum ich mich überhaupt um dich kümmere.«
    »Ich auch nicht. Ich hab dich nie darum gebeten.«
    » Hermana «, seufzte Tamica. »Ich weiß, wie weh es tut.«
    »Ach, wirklich? Genau vor einem Jahr hab ich meine beste Freundin getötet.«
    Zwei Wärter traten zwischen sie und schoben Lexi von Tamica weg. »Zurück, Baill.«
    »Ich bin hingefallen«, sagte Tamica.
    »Netter Versuch, Hernandez«, bemerkte einer der Wärter. »Aber ich hab alles gesehen. Los jetzt, Baill.«
    Lexi wusste, wohin sie sie jetzt brachten, aber es war ihr egal. Noch gestern hätte sie gesagt, nichts mache ihr mehr Angst als das Loch , aber jetzt, an Mias Todestag, nachdem sie ihr Kind verloren hatte, entlockte es ihr gerade mal einen Seufzer.
    Sie führten sie durch endlose Gänge, bis sie schließlich zu einer kleinen, fensterlosen Zelle gelangten. Als die Tür aufsprang, roch Lexi Urin und Schimmel und wollte in einem Anfall von Panik umkehren.
    »Zu spät«, sagte der Wärter neben ihr und stieß sie hinein. In der Zelle gab es nur eine Metallpritsche mit einer groben stahlgrauen Decke. Matratze und Kissen waren aus altem, verformtem Schaumstoff. Die Öffnung in der Tür war so klein wie eine Fernbedienung. Wahrscheinlich wurde dort dreimal pro Tag das Essen durchgeschoben.
    Lexi stand im Zwielicht der Zelle und erschauerte plötzlich, obwohl es nicht kalt war. Vom stechenden Geruch tränten ihr die Augen.
    »Da bist du jetzt«, erklärte einer der Wärter. »Lern was draus.«
    Dann schlug die Tür dröhnend ins Schloss, und sie war allein in der Dunkelheit.
    Die Kälte kroch ihr in die Glieder. Sie öffnete ihre Hand. Es war zu dunkel, um die Pillen zu sehen, aber sie fühlte sie. Sie steckte sie sich in den Mund und schluckte sie herunter. Die Wirkung setzte erst nach einer ganzen Weile ein, aber schließlich überkam sie Ruhe. Sie schloss die Augen und vergaß Mias misstönenden Gesang, Zachs Versprechen ewiger Liebe und Grace’ Wimmern. Sie saß auf der Schaumstoffmatratze und starrte ins Nichts. Dachte nichts, fühlte nichts, driftete einfach durch die Zeit, die nicht enden wollte.

T EIL Z WEI
    Auch wenn mir nichts kann wiederbringen jene Zeit,
    wo auf den Gräsern und den Blumen lag der Glanz der Herrlichkeit,
    so wollen wir vergessen jetzt die Kümmernis
    und finden eher Kraft in dem, was bleibt und ist.
    W ILLIAM W ORDSWORTH,
    O DE: H INWEISE AUF DIE U NSTERBLICHKEIT,
AUS E RINNERUNGEN AN DIE
    FRÜHE K INDHEIT

A CHTZEHN
    2010
    Aus der Ferne gesehen schien sich die Familie Farraday von ihrem Verlust erholt zu haben. Miles, der bekannte Chirurg, widmete sich wieder ganz seiner Arbeit. Zwar verbrachte er zu viel Zeit im Krankenhaus, doch nur, um so viele Menschenleben wie möglich zu retten. Zach hatte zum Erstaunen aller sowohl das Junior College als auch die University of Washington in der Rekordzeit von drei Jahren gemeistert und ein Jahr früher als geplant mit dem Medizinstudium begonnen. Nun war er in seinem zweiten Studienjahr und bekam ausschließlich Bestnoten. Er war in ein Mietshaus auf der Insel gezogen und kannte nur noch zweierlei in seinem Leben: Studium und Vaterpflichten. Ihm schien es nichts auszumachen, dass ihm für Privates keine Zeit blieb. Die Einwohner der Insel sprachen voller Stolz von ihm und erklärten, die Tragödie habe seinen Charakter geformt, so dass er den Herausforderungen als Vater mehr als gewachsen sei.
    Und dann war da noch Jude.
    Jahrelang hatte sie versucht, wieder so zu werden wie vor dem Tod ihrer Tochter. Sie hatte alles getan, was man von ihr erwartet und verlangt hatte. Sie war zu Selbsthilfegruppen und Therapeuten gegangen. Sie hatte es mit Xanax und Zoloft und Prozac versucht. Sie hatte erst zu viel und dann zu wenig geschlafen. Sie hatte zu stark abgenommen. Aber vor allem hatte sie gelernt, dass mancher Schmerz weder ignoriert noch gelindert werden konnte, geschweige denn geheilt.
    Ihre Wunden hatte die Zeit nicht geheilt. Was für ein Schwachsinn dieser dämliche Spruch war! So was sagten nur die Glücklichen zu denen, die weniger Glück gehabt hatten. Dieselben Leute meinten auch, es würde helfen, über seine Trauer zu reden. Sie dachten sich nichts dabei, wenn sie einem erklärten, »das Leben

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