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Wie Blüten im Wind: Roman (German Edition)

Wie Blüten im Wind: Roman (German Edition)

Titel: Wie Blüten im Wind: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Hannah
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ist ein Sofa und am Eingang ein Fahrrad. Die Kombination lautet 1321. Da wir heute früh Feierabend gemacht haben, gehört die ganze Kanzlei Ihnen.«
    Sie nahm den Schlüssel und steckte ihn ein. »Danke, Scot.«
    »Nichts zu danken. Ich glaube an Sie, Lexi.«
    Sie hätte ohne ein Wort weggehen sollen. Eigentlich hatte sie das auch vor, stattdessen ertappte sie sich, dass sie ihn fragte: »Hat Zach geheiratet?«
    »Nein. Ich glaube, er studiert noch. Er hat keine Frau. Ein paar Jahre hat er bei seinen Eltern gewohnt, dann ist er in diese Blockhütte am Strand gezogen.«
    »Ach.«
    »Hat er Ihnen nie geschrieben?«
    »Ein paarmal. Aber ich hab alle Briefe ungeöffnet zurückgesandt.«
    »Ach, Lexi«, seufzte Scot. »Warum denn?«
    Sie verschränkte die Arme und versuchte, nicht daran zu denken, wie sich die Briefe in ihren Händen angefühlt hatten. Wie sie auf der kratzigen Wolldecke ihres Bettes gelegen hatten. Aber damals war sie ungeheuer wütend und verletzt gewesen und hatte dies ausgelebt, indem sie sich selbst schadete. Als sie es überwunden hatte und daran gewachsen war, war es zu spät gewesen. Er hatte nicht mehr geschrieben, und ihr fehlte der Mut, ihm zu schreiben.
    »Ich hätte Ihren Rat befolgen sollen«, sagte sie schließlich. Dabei konnte sie ihm nicht in die Augen sehen.
    »Ja.«
    »Tja. Noch mal danke. Ich glaube, ich mach jetzt eine kleine Fahrradtour. Es ist ein herrlicher Tag.«
    Scot ging zum Eingang seiner Kanzlei, holte das Rad und brachte es ihr.
    Sie wollte ihm sagen, wie viel es ihr bedeutete, dass er heute für sie da war. All die Jahre war sie davon ausgegangen, dass sie nach ihrer Entlassung allein sein würde. Jetzt erkannte sie, wie schmerzhaft das gewesen wäre.
    »Gern geschehen«, sagte er leise.
    Sie nahm das Rad von ihm und fuhr davon.
    Schon bald breitete sich ein Lächeln über ihr Gesicht. Es fühlte sich so gut an, frei zu sein, zu fahren, wohin sie wollte, und abzubiegen, wo es ihr gerade einfiel. Nie mehr würde sie das für selbstverständlich halten.
    Sie umkreiste das Theater – und sah, dass es einen neuen Anbau hatte –, dann die Bank und den Schönheitssalon, wo Tante Eva sich immer die Haare hatte schneiden lassen. Dort entdeckte sie auch ein Münztelefon. Sie streckte kurz den Arm aus, bog auf den Parkplatz ein und meldete ein R-Gespräch zu Eva an.
    Aber dort nahm niemand ab.
    Enttäuscht stieg sie wieder aufs Rad und fuhr weiter.
    Die Eisdiele gab es noch; daneben war ein neues Café eröffnet worden und auf der anderen Seite ein Laden, in dem Computer repariert wurden.
    An der Highschool fuhr sie langsamer. Eine große neue Turnhalle dominierte den Campus. Es sah ganz anders aus, als sie es in Erinnerung hatte. Nur der Fahnenmast war noch da, und das reichte.
    Wir treffen uns am Fahnenmast bei der Verwaltung …
    Jetzt trat sie heftiger in die Pedale, die unebene Asphaltstraße hinunter und den Raspberry Hill hinauf. Hier oben sah man ab und an noch Schotterstraßen und vereinzelt Briefkästen, doch größtenteils war es unbebautes Land. Die Sonne ging schon unter, und der Himmel war dunkelblau, und bevor sie es sich versah, war sie auf der Night Road. Sie hatte nicht mal hier einbiegen wollen.
    Doch jetzt war sie hier, an der Haarnadelkurve. Die Bremsspuren waren schon lange verschwunden, aber der zerborstene Baum war noch da, sein rosafarbenes Inneres fast schon schwarz. Er starb.
    Sie hielt an, sprang ungeschickt vom Rad und hörte es hinter sich klappernd auf die Straße fallen. Um sie herum schlossen die Bäume das Sonnenlicht aus.
    Mias Gedenkstätte war jetzt nur noch zu sehen, wenn man wusste, wonach man suchte. Das kleine weiße Kreuz war im Laufe der Jahre verwittert und hing schief nach links. Ein paar leere Vasen lagen im Gebüsch. An einem hohen Ast hing schlaff ein Luftballon.
    Lexi atmete zittrig aus.
    Im Gefängnis hatte sie jahrelang eine Gruppentherapie besucht und über ihren Schmerz und ihre Schuldgefühle gesprochen. Ihre Therapeutin hatte ihr oft erklärt, dass Zeit und harte Arbeit an sich sie heilen würden. Dass sie gesund werden würde, wenn sie sich selbst verzieh.
    Als wenn das je möglich wäre.
    Selbst wenn sie sich verzeihen konnte, was undenkbar war, käme Mia dadurch nicht zurück. Das begriffen die Anhänger des positiven Denkens einfach nicht: Manches konnte nie wiedergutgemacht werden. Selbst wenn Lexi eine zweite Mutter Teresa würde, wäre Mia immer noch tot, und Lexi wäre daran schuld. Sechs Jahre waren vergangen, doch

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