Wie Blüten im Wind: Roman (German Edition)
vom Gefängnis.
Sie kurbelte das Fenster hinunter, steckte den Kopf hinaus und atmete die süße, saubere Luft ein. Die Landschaft um sie herum war noch genau so, wie sie sie in Erinnerung hatte: riesige Bäume, strahlend blauer Himmel, Berge im Hintergrund. Hier draußen war das Leben ohne sie weitergegangen.
»Mich hat es ganz schön umgehauen, als ich hörte, dass Sie noch ein paar Monate wegen schlechter Führung aufgebrummt bekamen. Eigentlich wollte ich Sie schon viel früher abholen.«
»Ja. Tja, 2005 war ein schlimmes Jahr für mich. Als ich Gracie verlor …« Sie konnte nicht mal zu Ende sprechen. Außerdem lag das alles jetzt hinter ihr.
»Geht es Ihnen jetzt besser?«
»So gut, wie es einem Exknacki eben gehen kann. Aber ich trinke nicht und nehme auch keine Drogen, wenn Sie das meinen.«
»Ich hab gehört, Sie haben Ihren Abschluss gemacht. Ihre Tante war sehr stolz.«
»In Soziologie«, erwiderte Lexi und wandte den Kopf ab, um aus dem Fenster zu blicken.
»Wollen Sie immer noch Jura studieren?«
»Nein.«
»Sie sind noch jung, Lexi«, sagte er.
»Ist mir nicht neu.« Sie drückte sich tiefer in ihren bequemen Sitz und ließ die Landschaft an sich vorbeiziehen. Schon bald waren sie in Port George, fuhren durch Indianerland, vorbei an den Feuerwerksständen an der Straße, die auf den nahenden Unabhängigkeitstag wiesen. Und dann waren sie auf der Brücke und überquerten den Shallow Pass.
Willkommen auf Pine Island. Einwohner: 7120 .
Sie spürte, wie eine Last sich auf ihre Brust legte. Da war der Eingang zum LaRiviere Beach Park … die Highschool … die Night Road. Als Scot vor seiner Kanzlei parkte, war Lexis Gesicht schmerzhaft angespannt.
»Alles in Ordnung?«, fragte Scot und öffnete die Tür.
Steig aus, Lexi. Lächle. Das kannst du doch mittlerweile, ein falsches Lächeln aufsetzen.
Sie schaffte es. »Danke, Scot.«
Er gab ihr hundert Dollar. »Die sind von Ihrer Tante. Und hier ist eine Busfahrkarte nach Pompano Beach. Der Bus fährt morgen Nachmittag um 15.30 Uhr.«
»Morgen?«
Wie sollte sie Distanz wahren, während sie hier war, am Tatort, am einzigen Ort, wo sie sich je zu Hause gefühlt hatte?
»Jenny lädt Sie herzlich ein, bei uns zu übernachten und mit uns zu Abend zu essen. Falls Sie möchten«, erklärte Scot.
»Nein«, sagte sie zu rasch und bemerkte sofort ihren Fehler. »Tut mir leid, ich wollte nicht unhöflich sein. Aber ich bin schon lange nicht mehr unter Leute gekommen. Seit 2144 Tagen. Und einem halben.« Sie lächelte müde und blickte sich um, begierig, endlich allein zu sein.
»Wollen Sie mich nicht fragen?«, sagte Scot.
Lexi hätte gern den Kopf geschüttelt, vielleicht sogar Nein, verdammt noch mal gesagt, aber sie konnte nur dastehen.
»Sie wohnt zusammen mit ihrem Dad in der alten Tamarind Cabin in der Cove Road. Manchmal sehe ich sie mit ihrem Dad in der Stadt.«
Lexi reagierte nicht. Im Gefängnis hatte sie gelernt, ihre Gefühle zu verstecken, vor allem Schmerz. »Wirkt sie glücklich?«
»Sie sieht gesund aus.«
Lexi nickte. »Das ist gut. Tja, Scot …«
»Wir könnten um sie kämpfen, Lexi. Um das halbe Sorgerecht oder zumindest ums Besuchsrecht.«
Lexi erinnerte sich noch an die »Besuche« ihrer Mutter: sie zwei zusammen mit einer Sozialarbeiterin, eingeschlossen in einem Zimmer. Lexi wusste vor allem, wie viel Angst sie bei diesen seltenen Gelegenheiten vor der Frau gehabt hatte, die sie geboren hatte.
»Ich bin eine vierundzwanzigjährige ehemalige Gefängnisinsassin, die zuletzt aushilfsweise in einer Eisdiele gearbeitet hat. Ich habe keine Wohnung und bezweifle stark, dass ich je einen anständigen Job bekomme. Aber ich soll einfach bei meiner Tochter auftauchen, mich wieder in die Familie Farraday drängen und die alten Wunden aufreißen … nur damit ich mich besser fühle. Wollen Sie das wirklich?«
»Lexi …«
»Ich werde nicht sein wie meine Mutter. Ich werde keine Entscheidung treffen, die nicht zum Besten meiner Tochter ist. Deshalb ziehe ich morgen nach Florida. Grace hat etwas Besseres verdient als mich, und wenn ich hierbleibe, wird sie mich lieben. Das tun Kinder nämlich: Sie lieben ihre Versagereltern, bis es ihnen das Herz bricht.«
»Sie sind keine Versagerin. Und was ist so falsch daran, Sie zu lieben?«
»Hören Sie auf.«
Scot presste die Lippen zusammen. Er griff in seine Tasche, holte einen Bund Schlüssel hervor und löste einen davon. »Dies ist der Schlüssel zu meiner Kanzlei. Im Konferenzraum
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