Wie Blüten im Wind: Roman (German Edition)
bat sie schwach. »Bitte …«
»Ich musste sie sehen.«
»Das hast du ja jetzt.« Jude spürte, wie ihre Beine nachgaben. Es kostete sie ihre gesamte Kraft, nicht auf die Knie zu fallen.
»Sie ist einsam«, sagte Lexi und blickte zu Grace, die abseits von den anderen Kindern stand und zu ihnen herübersah.
»Was hast du denn erwartet?«, fragte Jude verbittert. »Sie ist in einer zerbrochenen Familie aufgewachsen.«
»Ich hab mir gesagt, wenn ich sähe, dass sie glücklich ist, würde ich wieder gehen. Aber sie ist nicht glücklich.«
Jude öffnete ihre Handtasche und griff mit zitternden Fingern nach ihrer Brieftasche. »Ich geb dir Geld, wenn du gehst. Wie viel willst du? Zwanzigtausend Dollar? Fünfzigtausend? Sag mir einfach, wie viel du willst.« Lexis Miene veränderte sich, aber Jude zitterte jetzt so heftig, dass sie es nicht bemerkte. Ein dumpfer Druck auf ihrer Brust erschwerte ihr das Atmen, und sie hatte Angst, ohnmächtig zu werden. »Hunderttausend. Ja?«
»Ich hab sie Zach gegeben«, erwiderte Lexi. » Gegeben . Weißt du, wie schwer das war? Kannst du dir das vorstellen?«
»Wie es ist, ein Kind zu verlieren?«, sagte Jude. »Ja, Lexi. Ich weiß genau, wie sich das anfühlt.«
»Ich habe es aus Liebe zu ihr getan. Und weil ich darauf vertraute, dass Zach, Miles und du ihre Familie sein würdet.«
Jude sah den Vorwurf in Lexis Blick, und weil sie wusste, er war gerechtfertigt, schmerzte er nur noch mehr. »Wir sind ihre Familie.«
»Nein. Wusstest du, dass sie Angst vor dir hat? Sie sagt, du würdest sie nie in den Arm nehmen oder küssen. Sie fragt sich, warum du sie nicht liebst.«
Plötzlich fühlte Jude sich ertappt; plötzlich überkam sie solche Angst, dass sie anfing zu zittern und fast ihre Handtasche hätte fallen lassen. »Wie kannst du es wagen?«, sagte sie, doch ohne rechte Überzeugung.
»Ich habe euch allen vertraut«, fuhr Lexi fort, und ihr brach die Stimme. Zum ersten Mal ließ sie wirklich Gefühle erkennen, und Jude ergriff die Gelegenheit.
»Zach hat alles für Grace aufgegeben. Alles.«
»Du meinst die USC , oder? Deinen Heiligen Gral. Sein Glück hat dich doch nie interessiert, sondern nur dass er tat, was du wolltest.«
»Das ist nicht wahr.«
»Er hat mich geliebt . Aber das war dir egal.«
»Du hast seine Schwester umgebracht«, stieß Jude hervor.
»Ja«, sagte Lexi mit zitternden Lippen. »Und damit muss ich jeden Tag meines Lebens leben. Ich hab alles getan, um es wiedergutzumachen, euch gegenüber und Zach und Grace gegenüber, aber vergeblich. Ich hab dir meine Freiheit und meine Tochter geopfert – und du willst immer noch mehr. Tja, du kannst mich mal, Jude. Mehr kriegst du nicht. Grace ist meine Tochter. Meine Mia. Und ich will sie zurück. Mein Anwalt hat heute den Antrag gestellt.«
Damit ging Lexi. Jude stand einfach nur mit brennenden Augen und einem Kloß im Hals da und hörte immer wieder, wie Lexi meine Mia sagte.
Als Lexi erst einmal die Richtung zum Strand eingeschlagen hatte, konnte sie nicht mehr anhalten. Zwar stand ihr Fahrrad am öffentlichen Strand am Ende der Sackgasse. Aber sie konnte nicht umkehren, konnte nicht mitansehen, wie Jude Grace nahm und sie wegbrachte, als wäre es für Grace gefährlich, ihre eigene Mutter kennenzulernen.
Eine kühle Sommerbrise strich ihr durchs Haar. Ihre Augen tränten im Wind. Doch sie steckte die Hände in die Taschen und ging einfach weiter. Als sie sich umdrehte und zurückblickte, sah sie, dass Jude immer noch dastand.
Lexi wollte hart und unbeugsam sein, wollte es als gerechtfertigt betrachten, dass sie hierhergekommen war und ihre Tochter zurückforderte, und sie empfand es auch so – als gerechtfertigt, wegen all der Gründe, die sie Jude genannt hatte. Vor allem aber, weil die Farradays die Chance gehabt hatten, Grace glücklich zu machen, und versagt hatten.
Aber jetzt erwachten in Lexi auch die stets in ihr schlummernden Schuldgefühle. Sie hatte die Familie der Farradays zerstört. Am Anfang hatte sie noch gehofft, ihre Jahre im Gefängnis würden sie alle irgendwie heilen, doch jetzt wusste sie besser als jeder andere, dass Zeit und Abstand eben nicht alle Wunden heilten. Sie war so naiv gewesen zu glauben, Grace könnte aufwachsen wie Mia und Zach, in einer liebevollen und glücklichen Familie. Also war es in gewisser Hinsicht Lexis Schuld, dass ihre Tochter jetzt unglücklich war.
All das stimmte und lastete schwer auf Lexi, doch sie spürte noch etwas anderes, einen
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