Wie Blüten im Wind: Roman (German Edition)
ihre Tochter aufgab. »Ich musste Grace sehen … um mich zu vergewissern, dass sie glücklich ist.«
Die Anziehungskraft, die immer zwischen ihnen bestanden hatte, war noch mächtig, und bevor sie es sich versah, ging sie auf ihn zu. Erst als sie so dicht vor ihm stand, dass er sie in den Arm hätte nehmen können, fiel ihr auf, dass er sich keinen Zentimeter gerührt hate. Er war einfach stehen geblieben und hatte sie auf ihn zukommen lassen. Na klar.
»Was willst du hier?«, fragte er.
»Ich musste meine Tochter sehen.«
»Unsere Tochter.«
»Ja.« Lexi schluckte hart. Sie hatte sich ihr Wiedersehen tausendmal, nein, eine Million Mal vorgestellt, und nie war es so unangenehm gewesen, so distanziert und von Verlust geprägt. Sie wollte ihn nach Grace fragen, wollte fragen, ob ihre Tochter auch etwas von ihr hatte, doch sie brachte es einfach nicht über sich, ihr Herz derart zu entblößen. Diesen Fehler hatte sie schon einmal gemacht.
Er starrte sie an. Sie spürte die Wärme, die von seinem Körper ausging, seine sanften Atemzüge. »Sie gibt im Schlaf ein leise pfeifendes Geräusch von sich – genau wie du. Wie früher, meine ich.«
Lexi wusste nicht, was sie darauf sagen sollte. Natürlich wusste er, was sie dachte; das war schon immer so gewesen. Ihr Atem ging jetzt schneller; genau wie seiner, fiel ihr auf. Sie starrte auf seinen Mund und dachte daran, wie er ausgesehen hatte, wenn er lächelte, und wie oft sie gemeinsam gelacht hatten. Und ihr Verlust wurde ihr wieder schmerzhaft bewusst.
»Du hast nie meine Briefe beantwortet.«
»Wozu auch?«, erwiderte sie. »Ich dachte, es wäre besser für uns beide, wenn wir nicht mehr an uns dächten. Außerdem waren die ersten beiden Jahre im Gefängnis … hart.«
»Früher habe ich ständig an dich gedacht.«
Früher. Sie schluckte hart und zuckte mit den Schultern.
Vorsichtig berührte er ihren Oberarm, so behutsam, als hätte er Angst, sie würde zerbrechen oder schreien. Vielleicht dachte er auch, sie wollte nicht von ihm berührt werden. Sie stand da, sah zu ihm auf und spürte erschrocken, dass sie ihn küssen wollte.
Närrin.
Sie wich vor ihm zurück, weil sie Abstand brauchte. Es war dumm von ihr gewesen, ihn so nahe an sich heranzulassen. Ihr Herz gehörte ihm, seit sie ihn das erste Mal gesehen hatte. Wie hatte sie das vergessen können, nach all dem, was geschehen war? »Du hast zugelassen, dass ich ins Gefängnis ging«, sagte sie, um sich daran zu erinnern, wer sie wirklich war.
»Ich hatte keine andere Wahl.«
»Glaub mir, Zach, du hattest immer die Wahl. Ich hatte keine Wahl.« Sie holte tief Luft und sah diesen Jungen – diesen Mann – an, den sie vom ersten Augenblick an geliebt hatte. Der Schmerz über ihre Vergangenheit überwältigte sie. »Ich will Grace«, erklärte sie ruhig. »Ich habe heute den Antrag gestellt.«
»Ich weiß, dass du mich hasst«, erwiderte er. »Aber tu Grace das nicht an. Sie kann das nicht verstehen. Sie hat doch nur mich.«
»Nein«, sagte Lexi. »Jetzt hat sie auch mich.« Plötzlich hörte sie einen Wagen heranfahren, Räder, die über den Kies knirschten, und wusste ganz genau, wer da kam.
Jude kam angerast, ihren Sohn und ihre Enkelin vor der schrecklichen Lexi zu retten.
»Leb wohl, Zach.« Lexi wandte sich ab.
»Warte, Lexi.«
»Nein, Zach.« Sie sah ihn nicht an. »Ich habe lange genug gewartet.«
Jude zitterte, als sie Grace in ihrem Kindersitz anschnallte.
»Aua, Nana!«
»Entschuldige«, murmelte Jude. Hinter ihren Augäpfeln machte sich bohrender Kopfschmerz bemerkbar, so dass sie kaum sehen konnte. Sie befahl Miles mittels SMS , so schnell wie möglich nach Hause zu kommen, und stieg dann auf den Beifahrersitz. Aber sie konnte nicht nach Hause. Lexi wusste, wo sie wohnten.
»Warum gehe ich heute so früh nach Hause, Nana?«, fragte Grace vom Rücksitz. »War ich wieder böse?«
Nach Hause. Genau.
Sie fuhr – viel zu schnell – zu Zach und parkte neben seinem Wagen. Kaum war sie da, nahm sie Grace auf den Arm, eilte mit ihr hinein und schlug die Tür hinter sich zu.
Die Glastür stand offen. Im ganzen Haus roch es bei Ebbe nach Strand. Zach stand auf der Terrasse und blickte auf den Sund.
Jude trug Grace in ihr Zimmer und setzte sie auf dem Bett ab. Sie gab ihr ein zerlesenes Kinderbuch und bat: »Kannst du schon mal anfangen zu lesen? Ich muss nur kurz deinem Daddy etwas sagen und bin gleich zurück.«
Jude verließ das Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Dann ging sie
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