Wie Blüten im Wind: Roman (German Edition)
sich um. »Und Lex?«
»Mia wird gerade operiert. Wir warten noch auf Informationen«, erwiderte Jude. »Ich bin sicher, sie wird wieder gesund. Dies ist ein ausgezeichnetes Krankenhaus.«
»Und Lexi?«, fragte Zach.
»Der Pfleger meinte, es ginge ihr so weit gut. Bald werden wir mehr wissen«, sagte Miles.
»Ruh dich einfach aus«, bat Jude mit tröstender Stimme, wie früher, als er noch klein war. »Wir sind hier.«
Sie saß an seinem Bett, wie schon so oft in seinem Leben. Kurz darauf ging Miles, um sich noch einmal nach Mias Zustand zu erkundigen. Es war schrecklich, auf Antworten zu warten, aber Jude musste es aushalten. Was blieb ihr anderes übrig? Und im tiefsten Innern glaubte sie daran, dass Mia wieder gesund würde. Sie musste es glauben.
Hinter ihr ging die Tür auf. »Noch keine Neuigkeiten«, sagte Miles.
Jude sah wieder zu Zach und überlegte, was sie zu ihm sagen sollte. Wörter kamen ihr sperrig und schwer vor, und sie konnte ihre Angst nicht genügend in Schach halten, um nachzudenken, daher grub sie tief in ihren Erinnerungen, bis zu der Zeit, als ihre Zwillinge sich wie zwei Welpen auf ihrem Schoß zusammengerollt hatten und sie Zach seine Lieblingsgeschichte erzählt hatte. »An dem Abend, als Max seinen Wolfspelz trug und nur Unfug im Kopf hatte, schalt seine Mutter ihn ›Wilder Kerl‹ …«
Während sie versuchte, sich an die Worte zu erinnern – irgendwas mit »knirschten mit den schrecklichen Zähnen« –, bemühte sie sich, die Erinnerungen, die dadurch hervorgerufen wurden, auf Abstand zu halten. Doch es ging nicht. Die Geschichte erinnerte sie an einen Jungen, der anfing zu weinen, wenn sie das Licht in seinem Zimmer löschte, einen Jungen, der Angst davor hatte, dass Monster in seinem Schrank oder unter dem Bett lauern könnten. Richtig ruhig wurde er nur, wenn seine Schwester bei ihm war. Jude hatte die Anweisungen aller Elternratgeber ignoriert und die Zwillinge zu sich und Miles ins Bett krabbeln lassen.
Und jetzt waren seine Augen verbunden, und er sah nur tiefste Dunkelheit.
»Mom?«
Sie wischte sich über die Augen. »Was ist, Schatz?«
»Hast du Lexi gesehen?«
»Noch nicht.«
»Geh zu ihr. Sag ihr … sag ihr, mir ginge es gut, ja?«
Sie drückte seine Hand und ließ sie los. »Natürlich.« Sie stand unsicher auf und wandte sich zu Miles. »Hältst du seine Hand, während ich weg bin?«
»Natürlich.«
Sie tat so, als bemerkte sie nicht, dass sie sich nicht mehr in die Augen sehen konnten. »Gut, dann …«
Sie zögerte, fühlte sich nicht in der Lage, ihren Sohn zu verlassen. Doch dann ging sie aus dem Zimmer in den hell erleuchteten Flur. Sie hielt kurz inne, um sich zu fassen, und steuerte dann das geschäftige Schwesternzimmer an.
»Ich möchte mich nach Alexa Baill erkundigen«, sagte sie.
»Sind Sie mit ihr verwandt?«
»Nein.«
»Sie liegt auf Zimmer 613. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen.«
Jude nickte und verließ das Schwesternzimmer.
Vor Zimmer 613 blieb sie kurz stehen, dann öffnete sie die Tür.
Es standen zwei Betten darin. Das eine am Fenster war leer. In dem anderen lag Lexi. Obwohl das Kopfteil aufgerichtet war, schlief sie. Ihr hübsches, herzförmiges Gesicht hatte Blutergüsse, über ihr linkes Auge verlief, wahrscheinlich wegen der Schnittwunde, ein Verband, und ihr linker Arm war in Gips. Eva Lange saß auf einem Stuhl neben ihrem Bett. Sie sah älter und kleiner aus, als Jude sie in Erinnerung hatte. Die Hände hatte sie fest im Schoß verschränkt.
Jude hatte im Laufe der Jahre viele Geschichten über diese Frau gehört, die Lexi bei sich aufgenommen hatte, ohne sie vorher auch nur einmal gesehen zu haben. Eva hatte kaum Geld gehabt, nur ein altes Auto besessen und in einem Wohnwagen gewohnt, doch hatte sie Lexi eine Familie gegeben. »Hallo, Eva«, sagte Jude. »Darf ich hereinkommen?«
Eva blickte auf. In ihren dunklen Augen glitzerten Tränen, und ihr Gesicht war gramzerfurcht. »Natürlich.«
»Wie geht es ihr?«, fragte Jude.
»Woher soll ich das wissen? Einen Arzt zu finden, der mit einem redet, ist genauso schwierig, wie im Lotto zu gewinnen.«
»Ich werde Miles bitten, etwas für Sie in Erfahrung zu bringen. Aber es ist wirklich schwierig. Wir warten auch noch darauf, etwas über … Mia zu hören.« Jude sah Eva an. Obwohl sie kaum etwas gemeinsam hatten, verband sie in diesem Augenblick doch die Angst einer Mutter.
»Ich versteh’s einfach nicht«, sagte Eva mit leiser, tränenerstickter Stimme. »Sie hat mir
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