Wie Blüten im Wind: Roman (German Edition)
gesagt, sie würde bei Ihnen übernachten. Bei Mia.«
»Ja. So war es auch geplant.«
»Aber um halb vier waren sie noch nicht zu Hause?«
Plötzlich fuhr Jude scharf durch den Sinn, dass ihre Kinder verantwortlich waren, dass sie gefahren waren … und sie es erlaubt hatte. »Sie sollten um eins zu Hause sein … haben es aber missachtet.«
»Oh.«
Jude trat näher zum Bett und blickte zu dem Mädchen, das ihr Sohn liebte. Der Streit, den sie wegen dieser Liebe gehabt hatten, kam ihr jetzt so unwichtig vor. Die College-Frage. Von nun an würde Jude alles anders handhaben. Ehrlich, Gott. Ich werde mich bessern. Mach nur, dass Mia, Zach und Lexi wieder gesund werden. »Sie ist für uns wie ein Teil der Familie.«
»Ich weiß, wie sehr sie Sie alle liebt.«
»Wir lieben sie auch. Tja, ich gehe wohl jetzt besser.« Jude trat einen Schritt zurück. »Vielleicht gibt es schon etwas Neues über Mia.«
»Ich bete für Sie alle«, sagte Eva.
Jude nickte. Sie wünschte, sie hätte auch beten können.
Z WÖLF
»Jude, Schatz, der Arzt ist da.«
Jude schrak auf. Sie saß zusammengesunken auf einem Stuhl neben Zachs Bett. Irgendwie war sie doch eingeschlafen. Sie blinzelte und rieb sich die Augen. Dass die Sonne durchs Fenster schien, kam ihr unwirklich vor. Ihr Sohn schlief ebenfalls, das merkte sie an seinem gleichmäßigen Atem.
Miles half ihr auf und führte sie in den Flur, wo ein Mann in blauer Krankenhauskluft auf sie wartete.
Sie umklammerte Miles’ Hand.
»Ich bin Dr. Adams«, stellte sich der Arzt vor und zog sich ein buntes Käppi vom Kopf. Er hatte dichtes graues Haar, und sein Gesicht war in Falten gelegt wie bei einem Bassett. »Es tut mir sehr leid …«
Jude versagten die Beine. Sie klammerte sich an Miles’ Arm, aber ihr Mann zitterte plötzlich auch.
»Verletzungen zu schwer … keinen Sicherheitsgurt … aus dem Wagen geschleudert …« Der Chirurg sprach immer weiter, aber Jude bekam nichts mehr mit.
Ein Geistlicher vom Krankenhaus kam in ihr Sichtfeld. Ganz in Schwarz, eine Krähe, die Aas picken wollte.
Sie hörte jemanden schreien, und dieser Schrei überdeckte alles andere. Sie stieß den Geistlichen weg.
Sie war es. Sie schrie, nein, sie heulte.
Als die anderen versuchten, sie festzuhalten – Miles vielleicht, vielleicht auch der Geistliche, sie wusste nicht, wer nach ihr griff –, schlug sie um sich, taumelte zur Seite und schrie laut den Namen ihrer Tochter.
Sie hörte, dass hinter ihr Miles den Chirurgen mit Fragen bombardierte und dann Antworten bekam, irgendwas über Hirnströme und Pentobarbital. Als sie ihn Hirntod sagen hörte, übergab sie sich und sackte zu Boden, in die Pfütze ihres Erbrochenen.
Dann war Miles bei ihr und behandelte sie mit der Sanftmut, die er normalerweise nur älteren Patienten vorbehielt. Er legte den Arm um sie, hievte sie auf die Füße und stützte sie; innerlich brach sie immer mehr zusammen.
Menschen versammelten sich um sie und starrten sie an. Mach das rückgängig, dachte sie und sah sie an.
Bitte, Gott.
Bitte.
Sie machte eine Szene, sie entwürdigte sich selbst.
Miles brachte sie in ein leeres Zimmer, wo sie sich auf einen Stuhl fallen ließ und vornüberklappte. Das ist nicht wirklich. Es kann nicht sein. »Ich war gerade noch mit ihr zusammen«, sagte sie zu Miles und sah ihn durch brennende Tränen hinweg an.
Er kniete sich wortlos vor sie. Sie spürte, wie alles in ihrem Inneren schwand, vertrocknete. Es klopfte an der Tür.
Wie lange waren sie schon hier drinnen? Eine Minute? Eine Stunde?
Der Geistliche betrat den Raum. Eine Frau mit schlichtem blauen Hosenanzug und Klemmbrett in der Hand begleitete ihn.
»Möchten Sie Mia sehen?«, fragte der Geistliche.
Als Jude ihn anblickte, sah sie Tränen in seinen Augen; dieser Fremde trauerte mit ihr. Da sickerte die kalte Wahrheit in ihr Inneres, tief und immer tiefer.
»Ja«, sagte Miles, und da dachte sie zum ersten Mal an ihn und seinen Schmerz. Sie sah, dass er auch weinte.
Sie waren so schwach. Wer hätte das geahnt? Sie jedenfalls nicht. Bis jetzt, da sie nach der Hand ihres Mannes griff, hatte sie sich für eine starke Frau gehalten. Für eine sehr starke und glückliche Frau.
Sie standen gemeinsam auf und gingen erst durch einen Flur und dann durch einen anderen, bis sie an eine Tür ganz hinten auf der rechten Seite kamen. Weit weg von den Patienten. Selbstverständlich.
Miles hatte die Kraft, die Tür zu öffnen, doch woher, das wusste Jude nicht.
Der Raum war hell
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