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Wie Blüten im Wind: Roman (German Edition)

Wie Blüten im Wind: Roman (German Edition)

Titel: Wie Blüten im Wind: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Hannah
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ihre Trauer versunken, dass sie die vertraute Landschaft der Insel kaum wahrnahm, bis sie mit einem Ruck erwachte.
    Ihr Mann war auf die Night Road eingebogen.
    »Miles!«, keuchte sie.
    »Scheiße«, sagte er. »Die Macht der Gewohnheit.«
    Die kraftlose Junisonne konnte die riesigen Bäume zu beiden Seiten der Straße kaum durchdringen. Beide Böschungen lagen in tiefem Schatten. Hoch oben in einem der Baumwipfel spähte ein einsamer Adler auf etwas in der Tiefe.
    Sie fuhren durch eine Kurve und sahen plötzlich den Unfallort vor sich. Bremsspuren markierten den grauen Asphalt. Ein Baum war in der Mitte zerborsten und halb zur Seite geknickt. An seinem Stamm war eine Gedenkstätte errichtet worden.
    »O Mann«, entfuhr es Zach, der auf dem Rücksitz saß.
    Jude konnte ihren Blick nicht abwenden. Die Mulde zwischen Straße und Baum war übersät mit Blumensträußen, Stofftieren, Highschool-Wimpeln und Fotos von Mia. Am Straßenrand parkte ein Lieferwagen mit einer Satellitenschüssel auf dem Dach: der Lokalsender. Jude wusste, was sie heute Abend in den Nachrichten sehen würde: Bilder von Teenagern, die sie schon als Kinder gekannt hatte und die jetzt viel älter und mitgenommen wirken würden. Sie würden über Mias Tod weinen, Andenken an Mias kurzes Leben hinterlegen und Votivkerzen in kleinen Gläsern in die Höhe halten.
    Und was würde aus den Stofftieren, die man hier ablegte? Im Herbst würde der Regen allem die Farbe entziehen und diese Stelle in ein weiteres Zeugnis ihres Verlustes verwandeln.
    Noch nicht mal eine Meile entfernt , dachte sie, als Miles in ihre Einfahrt einbog.
    Mia war noch nicht mal eine Meile von ihrem Haus entfernt gestorben. Sie hätten auch zu Fuß gehen können …
    An der Haustür befand sich ein weiterer Schrein. Freunde und Nachbarn hatten den Eingang mit Blumen geschmückt. Als Jude aus dem Wagen stieg, roch sie den süßen, berauschenden Duft, doch schon welkten einige Blumen. Ihre Blütenblätter rollten sich ein und wurden braun.
    »Schaff das weg«, bat sie Miles.
    Er sah sie an. »Aber die sind doch schön, Jude. Sie bedeuten, dass …«
    »Ich weiß, was sie bedeuten«, erwiderte sie angespannt. »Dass unsere Tochter geliebt wurde – ein Mädchen, das nie mehr nach Hause kommt.« Ihr brach die Stimme. Zornig spürte sie die überwältigende Ohnmacht, wenn sie diese Blumen ansah. Sie hätte dasselbe für das Kind eines Nachbarn getan, und sie hätte geweint, wenn sie die Blumen gekauft und abgelegt hätte. Sie hätte den Verlust gespürt – und gleichzeitig die Erleichterung, dass ihre Kinder verschont worden waren. »Sie werden nur verwelken«, sagte sie schließlich.
    Miles zog sie in die Arme.
    Zach trat zu ihnen und lehnte sich an Jude. Sie wollte ihren Arm um ihn legen, fühlte sich aber wie gelähmt. Nur mit äußerster Konzentration konnte sie bei dem süßlichen Geruch der unzähligen Blumen atmen.
    »Sie mochte weiße Rosen«, sagte Zach.
    Bei diesen Worten überkam Jude erneut Trauer. Wieso hatte sie das nicht gewusst? Sie hatte so viele Stunden in ihrem Garten verbracht und doch keine einzige weiße Rose gepflanzt. Sie blickte auf die Blumen an der Haustür. Es waren Dahlien, Zinnien und Rosen in allen Farben. Nur keine weißen.
    In einem Anfall von Wut nahm sie alle Blumen, trug sie zum Wäldchen hinter der Garage und schleuderte sie in die Bäume.
    Sie wollte sich gerade abwenden, als ihr etwas Weißes ins Auge fiel.
    Eine noch geschlossene Knospe lag ganz oben auf dem Blumenhaufen. Die Blütenblätter leuchteten reinweiß wie Sahne.
    Jude kroch durch das Unterholz. Brennnesseln verbrannten ihr Gesicht und Hände, aber das kümmerte sie nicht. Sie nahm die einsame Rose, umklammerte sie mit zitternder Hand und spürte, wie sich die Stacheln in ihre Haut bohrten.
    »Jude?«
    Sie hörte, dass Miles näher kam. Mit der Rose in der Hand starrte sie zu ihm.
    Im grellen Sonnenlicht wirkte er plötzlich verhärmt und gebrechlich. Als er die Hand nach ihr ausstreckte, sah sie, wie hohl seine Wangen und wie dünn seine Finger waren. Sie blickte hinauf in seine grauen Augen, die früher ihr einziges Zuhause gewesen waren und jetzt nur noch Leere zeigten.
    Sie gingen ins Haus, das hell erleuchtet war und sehr warm.
    Als Erstes fiel Jude ein grüner Pullover ins Auge, der an der antiken Garderobe an der Tür hing. Wie oft hatte sie Mia schon gebeten, ihn mit nach oben in ihr Zimmer zu nehmen?
    Ja, madre . Morgen. Versprochen …
    Sie ließ den Arm ihres Mannes los und

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