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Wie Blüten im Wind: Roman (German Edition)

Wie Blüten im Wind: Roman (German Edition)

Titel: Wie Blüten im Wind: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Hannah
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wollte schon nach dem Pullover greifen, da hörte sie die Stimme ihrer Mutter.
    »Judith?«
    Ihre Mutter, in eleganter stahlgrauer Bluse und schwarzer Hose, stand in der Eingangshalle. Sie zog ihre Tochter in die Arme. Jude wünschte sich, in dieser Umarmung hätte etwas Tröstliches gelegen, doch sie war so kalt und mechanisch wie ihre gesamte Beziehung.
    So schnell wie möglich löste sie sich von ihrer Mutter und verschränkte die Arme. Plötzlich war ihr eiskalt, obwohl es warm im Haus war.
    »Ich hab das Essen eingeräumt«, sagte ihre Mutter. »Eure Freunde waren eine große Hilfe. Ich habe noch nie so viele Schüsseln und Töpfe mit vorgekochtem Essen gesehen. Es ist jetzt alles beschriftet und in der Kühltruhe. Ich hab mich auch um die Beerdigung gekümmert.«
    Jude blickte abrupt auf. »Wie konntest du es wagen?«
    Ihre Mutter sah sie besorgt an. »Ich wollte doch nur helfen.«
    »Es wird keine Beerdigung geben«, erklärte Jude.
    »Keine Beerdigung?«, fragte Miles.
    »Hast du schon die Beerdigung deiner Eltern vergessen? Und die meines Vaters? Nein, für Mia werde ich das auf keinen Fall durchexerzieren. Wir sind nicht religiös. Ich werde nicht …«
    »Für eine Beerdigung muss man doch nicht religiös sein, Judith«, wandte ihre Mutter ein. »Gott wird da …«
    »Wage es nicht, in meiner Gegenwart Gott zu erwähnen. Er hat zugelassen, dass sie stirbt.«
    Sie bemerkte, wie ihre Mutter blass wurde und einen Schritt zurücktrat. Und plötzlich verrauchte ihre Wut. Auf einmal war sie so erschöpft, dass sie sich kaum noch auf den Beinen halten konnte.
    »Ich muss schlafen«, sagte sie. Mit Mias Tasche und der weißen Rose in der Hand drehte sie ihrer Familie den Rücken zu, ging unsicher den Flur zum Schlafzimmer hinunter und ließ sich aufs Bett fallen.
    Mias Tasche ging auf, und der Inhalt ergoss sich über die teure Bettwäsche.
    Jude lag auf der Seite, an ein Kissen geschmiegt und starrte auf Mias Sachen.
    Die pinkfarbene Brieftasche hatte sie letztes Jahr zu Weihnachten bekommen. Ein Lipgloss, ein zerknautschter, halb aufgerissener Tampon, ein zusammengeknüllter Zwanzigdollarschein, eine halbleere Packung Kaugummi und eine alte Kinokarte. In der Brieftasche war ein Foto von Zach, Mia und Lexi, aufgenommen beim Abschlussball.
    Verzeihst du mir?
    Wenn sie Mia da nur umarmt und ihr gesagt hätte, dass sie sie liebte. Oder wenn sie ihnen die Party verboten hätte. Oder wenn sie ihren Kindern eingeschärft hätte, dass Alkohol gefährlich war, auch wenn die Partys damit mehr Spaß machten. Oder wenn sie darauf bestanden hätte, sie selbst zu fahren. Oder wenn sie ihren Kindern kein Auto gekauft hätte oder …
    Die Liste ihrer Verfehlungen wurde zu lang und belastend. Jude schloss die Augen.
    Sie hörte, wie hinter ihr die Tür auf- und wieder zuging.
    Miles kam zum Bett – sie spürte, dass er es war, konnte sich aber weder umdrehen noch die Augen öffnen. Er glitt zu ihr und zog sie an sich. Sie spürte, wie er ihr übers Haar strich, und erschauerte bei seiner Berührung. Plötzlich war ihr wieder eiskalt.
    »Deine Mutter ist gegangen. Sie sagte, sie wisse, wann sie unerwünscht sei – was natürlich kompletter Unsinn ist.«
    »Und Zach?«
    »Das ist das erste Mal, dass du nach ihm fragst.«
    »Sag du mir nicht, wie ich trauern soll, Miles. Ich gebe mein Bestes.«
    »Ich weiß.«
    »Ich habe keine einzige weiße Rose gepflanzt«, sagte sie leise. »Warum hab ich Mia nicht gefragt, welche Blumen sie mag? Warum wusste ich es nicht?«
    Wieder strich Miles ihr übers Haar. »Das dürfen wir nicht. Wir dürfen nicht zurückschauen und nach Fehlern suchen. Das würde uns umbringen.«
    Sie nickte und spürte, wie ihr wieder die Tränen kamen.
    Gott, sie war es so leid zu weinen, dabei hatte es gerade erst angefangen. Sie lebte noch nicht mal drei Tage ohne ihre Tochter. Der Rest ihres Lebens erstreckte sich endlos vor ihr wie die Wüste Gobi.
    »Es muss eine Beerdigung geben«, sagte Miles leise.
    »Weil es sich so gehört?«
    »Weil Zach und ich sie brauchen.«
    Jude presste ihr Gesicht ins Kissen und benetzte es mit Tränen. »Ist gut«, sagte sie, schon wieder vollkommen überwältigt. »Ich schlafe jetzt«, fügte sie hinzu und schloss die Augen.
    Miles ging aus dem Zimmer und schloss die Tür hinter sich.
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