Wie Blüten im Wind: Roman (German Edition)
Schuld. Wie soll ich das aushalten?«
Darauf hatte Jude keine Antwort.
»Sag’s mir.« Er weinte. »Du sagst mir doch immer, was ich tun soll.«
»Aber du hörst nicht immer darauf.« Das war heraus, bevor sie sich bremsen konnte. Sie hätte es zurücknehmen sollen, zumindest hätte sie es wünschen sollen, aber auch dafür hatte sie jetzt keine Kraft mehr.
»Nein«, sagte er unglücklich. Er nahm ihre Hand und drückte sie. Sie spürte seine Berührung vage und flüchtig wie das Flimmern auf heißem Asphalt.
»Sie hätte dir verziehen, Zach«, versicherte Jude. Das war die Wahrheit, und an etwas anderes konnte sie jetzt nicht denken.
Sie starrte abwesend aus dem Fenster. Ich verzeihe dir nicht. Ihre letzten Worte zu Mia.
»Warum hab ich ihr nicht einfach gesagt, ich wollte auch zur USC ?«
Jude überlegte, ob sie ihm von Mias letztem Entschluss erzählen sollte, mit ihm und Lexi zusammen an der SCC zu studieren, aber welchen Sinn hatte das jetzt noch? Es würde ihm nur noch mehr weh tun zu erfahren, wie sehr Mia ihn geliebt hatte.
»Mom? Vielleicht gehe ich trotzdem dorthin. Für uns beide.«
Jude sah, wie verzweifelt sich Zach nach ihrer Anerkennung sehnte. Ihr brach es das Herz. Als könnte die Wahl eines Colleges die ganze Tragödie rückgängig machen und sie wieder als Familie vereinen. Es war ihre Schuld, dass er das dachte. Schließlich hatte sie dem College so verdammt viel Bedeutung beigemessen, und er sehnte sich so sehr nach ihrer Liebe wie nach Mia. Sie wusste, dass sie mit ihm darüber reden und ihm erklären sollte, dass das keine gute Idee war. Aber ihr versagte die Stimme. Sie konnte nur noch an die Frau denken, die sie gewesen war. Die Mutter, der die USC so wichtig gewesen war.
Ich verzeihe dir nicht.
Bei der Erinnerung an ihre schrecklichen letzten Worte krümmte sie sich innerlich. »Das ist jetzt alles ganz unwichtig, Zach. Schlaf jetzt einfach.«
Sie wusste, dass das nicht reichte, dass sie ihm in seiner Trauer helfen sollte, aber was hatten Worte noch für einen Sinn? Sie wandte sich von den unendlich traurigen Augen ihres Sohnes ab und starrte hinaus auf den strahlend sonnigen Tag.
V IERZEHN
Jude kam es vor, als wären sie schon eine Ewigkeit im Krankenhaus, dabei waren es noch nicht mal dreizehn Stunden. Während sie an Zachs Bett saß, verbreitete sich auf Pine Island die Nachricht vom Unfall. Am frühen Abend setzten die Anrufe ein. Zuerst meldete sich Jude bereitwillig, weil sie von ihrem Verlust abgelenkt werden wollte, doch schon nach wenigen Sekunden merkte sie, dass sie einen schrecklichen Fehler gemacht hatte. In den leisen Beileidsbekundungen schwang auch immer eine Riesenerleichterung mit, dass es nicht sie und ihr eigenes Kind getroffen hatte, sondern Judes. Sie hörte so oft Es tut mir so leid , bis sie die Worte verabscheute wie noch nie etwas in ihrem Leben. Sie entdeckte eine nie gekannte toxische Wut in sich.
Schließlich schaltete sie ihr Handy aus, vergrub es in ihrer Handtasche und überließ Miles die Kondolenzanrufe. Sie trank so viel Kaffee, bis sie unruhig war wie ein eingesperrtes Rennpferd. Wie eine Mutter von Zwillingen, die nur noch ein Kind hatte.
Nervös tigerte sie durch die Gänge, lief die hell erleuchteten Korridore hinauf und hinunter, ohne etwas zu sehen. Sie konnte nicht mehr bei Zach sitzen, nicht mehr mit Miles sprechen, nicht mehr Mia sehen. Ihr Dasein wurde jetzt von dem bestimmt, was sie nicht mehr tun oder haben konnte. Also blieb sie ständig in Bewegung, wurde hin und wieder von Weinkrämpfen überwältigt und umklammerte Kleenexbündel, die immer nasser und grauer wurden.
»Jude?« Wie aus der Ferne hörte sie ihren Namen. Desorientiert sah sie auf. Wo war sie?
Vor ihr stand Molly und hielt eine kleine Reisetasche an ihre Brust gedrückt. Ungeschminkt, die weißblonden Haare in alle Richtungen abstehend und in Jogginghose und Strickjacke wirkte sie so derangiert wie Jude.
Molly trat unbeholfen auf sie zu und ließ die Tasche zwischen ihnen zu Boden fallen. Sie kickte sie beiseite und nahm Jude in die Arme. Als Molly anfing zu weinen, war es Jude, als würde sie wegdriften, verschwinden. Nur die Umarmung ihrer Freundin hielt sie noch auf diesem Gang.
»Es tut mir so …«
»Sag es nicht«, unterbrach Jude sie und löste sich aus Mollys Umarmung. »Bitte.« Ihre Augen fühlten sich so trocken und wund an, als hätte jemand sie mit Schmirgelpapier bearbeitet. Trotzdem konnte sie nur verschwommen sehen. Jetzt erkannte sie, wo
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