Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wie Blüten im Wind: Roman (German Edition)

Wie Blüten im Wind: Roman (German Edition)

Titel: Wie Blüten im Wind: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Hannah
Vom Netzwerk:
ließ sie es über sich ergehen, dass er ihre Finger auf ein Tintenkissen presste und dann auf ein Formular drückte. Danach wurde sie vor einen Fotoapparat gestellt und abgelichtet. Als jemand die Nächste rief, wurde sie weggeführt, tiefer hinein in das laute, pulsierende, dröhnende Herz des Gefängnisses.
    Der Wärter brachte sie in einen Raum. »Sie gehört Ihnen.«
    Zwei Wärterinnen traten auf sie zu. »Ausziehen!«, befahl die eine, mit der Hand auf dem Walkie-Talkie an ihrem Gürtel.
    »H … hier?«
    »Wir können’s auch machen.«
    »Nein, ich mache es selbst.« Mit zitternden Händen öffnete Lexi ihren Gürtel und zog ihn aus den Schlaufen.
    Die Wärterin nahm ihn ihr ab und legte ihn wie eine Schlaufe zusammen. So sah er aus wie eine Waffe.
    Lexi schluckte hart, knöpfte ihre Hose auf und zog sie aus. Dann streifte sie ihre schwarzen Schuhe ab und knöpfte ihre weiße Bluse auf. Mit allem Mut, der ihr noch geblieben war, langte sie nach hinten und öffnete ihren BH .
    Als sie nackt war, kam die dickere der beiden Wärterinnen zu ihr. »Mund auf!«
    Lexi gehorchte und folgte einer demütigenden Anweisung nach der nächsten. Sie öffnete den Mund, streckte die Zunge heraus, hob ihre Brüste an, hustete, bewegte ihre Finger, drehte sich um und beugte sich vornüber.
    »Pobacken auseinander!«
    Sie gehorchte.
    »Alles klar, Insassin Baill«, sagte die Wärterin.
    Langsam richtete sich Lexi wieder auf und drehte sich um. Sie brachte es nicht über sich, der Frau in die Augen zu sehen, daher starrte sie zu Boden.
    Die Wärterin reichte ihr einen Stapel Kleider: ein Paar gebrauchte weiße Tennisschuhe, eine Hose und ein Hemd in Khaki, einen alten weißen BH und zwei verblichene Unterhosen.
    So schnell wie möglich zog Lexi sich an. Der BH passte nicht richtig, und die Unterhose kniff, außerdem brauchte sie Strümpfe, aber natürlich sagte sie nichts.
    »Passen Sie auf, mit wem Sie sich anfreunden, Baill«, riet ihr die Wärterin mit einer Stimme, die nicht zu ihrem barschen Äußeren passte.
    Lexi wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte.
    »Gehen wir!« Die Wärterin wies zur Tür.
    Lexi folgte der Frau aus dem Aufnahmebereich ins Gefängis, wo das Klirren der Schlüssel, das Hämmern gegen die Gitter und das Geschrei ohrenbetäubend waren. Sie hielt den Blick gesenkt und spürte, wie der Boden buchstäblich vom Stampfen der mehreren Hundert Frauen im Zellenblock erzitterte.
    Schließlich kamen sie zu ihrer Zelle, einem zwei Meter fünfzig mal drei Meter großen Raum, der an drei Seiten von Betonwänden und an der vierten von einer dicken Metalltür mit einem kleinen Fenster eingefasst war, durch das die Wärterinnen hineinblicken konnten. Darin befanden sich zwei Pritschen mit dünnen Matratzen, eine Toilette, ein Waschbecken und ein kleiner Tisch. Auf der unteren Pritsche saß ein mageres Mädchen mit einem tätowierten Kreuz auf der Kehle. Bei Lexis Erscheinen schaute sie von ihrer Zeitschrift auf.
    Die Tür fiel hinter Lexi ins Schloss, doch immer noch hörte sie das Stampfen und Schreien im Zellenblock. Sie verschränkte die Arme und stand zitternd da.
    »Ich hab das untere Bett«, sagte das Mädchen, dessen Zähne braun und kariös waren.
    »Ist gut.«
    »Ich heiße Cassandra.«
    Jetzt erst fiel Lexi auf, wie jung ihre Zellengenossin war. Sie hatte Falten und Ringe unter den Augen, aber wahrscheinlich war sie nicht älter als dreiundzwanzig. »Ich heiße Lexi.«
    »Das ist nur die Aufnahme. Wir werden nicht lange zusammen sein, das weißt du, oder?«
    Lexi wusste gar nichts. Sie stand noch eine Weile da, dann kletterte sie auf das obere Bett, das nach dem Schweiß einer Fremden roch. Als sie sich auf die raue graue Decke legte und an die schmutzige graue Decke starrte, dachte sie unwillkürlich an den einen schrecklichen Besuch bei ihrer Mutter im Gefängnis.
    Da bin ich, Mom. Genau wie du, letzten Endes.

S ECHZEHN
    Vor dem Unfall hätte Jude behauptet, sie könne alles bewältigen, aber jetzt hatte die Trauer sie überwältigt. Natürlich wusste sie, dass sie damit umgehen musste, aber sie konnte sich einfach nicht vorstellen, wie. Sie fühlte sich wie jemand im tiefen Meer, der etwas großes Weißes heranschwimmen sah. Ihr Verstand schrie Schwimm , aber ihr Körper war wie gelähmt.
    Für alle anderen stellte der absurde Prozess einen Schlusspunkt dar. Der Gerechtigkeit war Genüge getan; jetzt nahm das Leben seinen Lauf. Jude spürte von allen Seiten den Druck, sich wieder normal zu

Weitere Kostenlose Bücher