Wie Blüten im Wind: Roman (German Edition)
Familie. Ich weiß, wenn sie könnte, würde sie all das rückgängig machen wollen, und ich bin nicht so naiv zu glauben, dass nur sie allein schuld ist und meine Kinder keinerlei Mitschuld tragen. Ich hätte meinen Kindern verbieten sollen, Alkohol zu trinken, anstatt mich einfach an meine eigene Jugend zu erinnern. Ich hätte strenger zu ihnen sein sollen, ihnen vielleicht nachdrücklicher die Auswirkungen von Alkohol nahebringen sollen. In dieser Tragödie gibt es vieles zu betrauern und vieles zu verantworten. Nicht nur für Lexi, sondern für uns alle.«
Er sah Lexi an. »Ich vergebe dir, Lexi, falls es dir wichtig ist, und ich bewundere deine Entscheidung, auf ›schuldig‹ zu plädieren. Ich bin nicht sicher, dass ich meinen Kindern geraten hätte, dasselbe zu tun.
Ich danke Ihnen, Euer Ehren, für die Möglichkeit, etwas zu sagen«, schloss Miles dann und blickte zum Richter. »Ich bitte Sie nur darum, Lexi als ein Mädchen zu betrachten, das einen schrecklichen Fehler begangen und ihn eingestanden hat, und nicht als kaltblütige Mörderin. Eine Gefängnisstrafe ist nicht die Lösung, sondern vergrößert nur unser aller Leid. Und wir haben genug gelitten.« Er trat vom Podium und ging zurück an seinen Platz.
Jude entschied sich nicht bewusst dafür zu sprechen. Sie stand auf, als wäre sie eine Marionette. Bewegte sich ruckartig, als würde sie an Fäden gezogen. Sie wusste nicht mal, was sie sagen wollte, bis sie am Podium stand und auf die Menschen blickte, die sie seit Jahren kannte. Sie hatte deren Kinder zusammen mit ihren eigenen aufwachsen sehen, hatte ihre Geburtstagspartys besucht. Einige von ihnen hatten noch jüngere Kinder, die irgendwann selbst auf Highschool-Partys gehen würden.
»Ich wünschte bei Gott, ich hätte meine Kinder an diesem Abend nicht auf die Party gehen lassen«, sagte sie leise und spürte, wie etwas in ihr zerbrach. »Ich wünschte, sie hätten keinen Alkohol getrunken. Ich wünschte, Mia hätte sich angeschnallt. Ich wünschte, sie hätten mich angerufen und gebeten, sie abzuholen.« Sie schwieg kurz. »Ich werde meine Tochter nie wieder im Arm halten können. Ich werde weder ihre Hochzeit noch ihr erstes Kind erleben.« Sie griff in ihre Tasche und holte den Ring hervor, den sie zu Mias Schulabschluss gekauft hatte. Das Gold schimmerte hell im künstlichen Licht, die Halterungen der leeren Fassung ragten wie Finger in die Höhe. »Diesen Ring wollte ich Mia zum Schulabschluss schenken. Ich dachte, eine rosafarbene Perle würde gut dazu passen, aber Mia sollte das selbst entscheiden.« Dabei zitterte ihre Stimme, und ihre Kraft schwand. Sie blickte zu Lexi, die weinend dasaß. Jude wusste, die Tränen hätten ihr etwas bedeuten sollen, aber Lexis Reue würde ihr Mia nicht zurückbringen. »Ich kann Lexi Baill nicht vergeben. Ich wünschte, ich könnte es. Vielleicht hilft es mir, Gerechtigkeit zu bekommen. Zumindest aber wird es vielleicht etwas bei anderen Jugendlichen bewirken, die meinen, sie könnten betrunken Auto fahren.« Sie ging zurück zu ihrem Platz, setzte sich und versuchte zu ignorieren, dass Miles offensichtlich von ihr enttäuscht war.
»Miss Lange?«, fragte der Richter.
Lexis Tante ging langsam zum Podium. Sie blickte nicht ins Publikum, sondern zum Richter. »Ich bin eine einfache Frau, Euer Ehren, aber ich weiß, dass Gerechtigkeit und Rache zwei unterschiedliche Dinge sind. Lexi ist ein anständiges Mädchen, das einen Fehler begangen hat. Ich bitte Sie, Gnade walten zu lassen. Lexi kann noch viel Gutes in diesem Leben tun. Doch ich habe Angst vor dem, was das Gefängnis ihr antun wird.« Sie straffte die Schultern und ging zu ihrem Platz zurück.
Der Richter sah auf. »Noch jemand?«
Jude spürte, wie Zach sich neben ihr rührte und dann langsam aufstand.
Ein Raunen ging durch die Zuschauer. Jude wusste, was sie jetzt sahen: Zachs Verbrennungen, seinen rasierten Schädel, die transparente Haut um seine Augen, aber vor allem seine unendliche Traurigkeit. Der strahlende Junge von einst war verschwunden und einer blasseren, versehrten Version ihres Sohnes gewichen.
»Zachary?«, fragte der Richter.
»Es ist nicht alles ihre Schuld«, sagte Zach, ohne zum Podium zu gehen. »Ich sollte an diesem Abend fahren. Ich hatte versprochen, nichts zu trinken. Aber ich trank trotzdem. Ich trank. Wenn sie nicht gefahren wäre, hätte ich es getan. Ich sollte ins Gefängnis, nicht sie.«
Er setzte sich wieder.
»Miss Baill, bitte erheben Sie sich«,
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