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Wie der Soldat das Grammofon repariert

Wie der Soldat das Grammofon repariert

Titel: Wie der Soldat das Grammofon repariert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sasa Stanisic
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Dreipunktsprache : dass es bei uns immer so mit Fäusten … dass wir immer … es zerreißt mir … es zerreißt mich … Waffen … prügeln … sogar mit Worten … prügeln … schelten … fauchen … fluchen … wie damals … immer schon … und das ist nur … ihr werdet noch sehen … das ist erst … ein Land der Schläger … nie ruht es … nie ruht es sich aus …
    Aleksandar, so einen langen Bart hast du nicht gesehen wie den Bart, in den der Dreipunktemann genörgelt hat! Er hat ihn sich an seiner Fliege vorbeigekämmt, zwei lange Wasserfälle Bart. So stand er dann vor mir, ich kann alles wiederholen, was er gesagt hat: sinnlos … sinnlos … müssen wir uns immer so … könnte viel leichter sein … wie damals … Stiefel auf Eis … der See zugefroren … solch eine Kälte … auch den kleinsten Nagel haben sie … genau fünfzig Jahre ist es her … man gab mir zu essen … ich wollte zu Gott … so ein Hunger … die Popen, die guten Popen … Glaube oder Essen … Jungchen, Jungchen … von Kälte kannst du erblinden … nichts habe ich gerettet … nichts … so sind die Kriege … so war der damals … nichts habe ich gerettet … die einsamsten Menschen lieben nur sich selbst …
    Genau das hat der Dreipunktemann gesagt, man kann es gar nicht vergessen. Dann hat er sich in der ersten Reihe hingelegt und weiter in seinen Bart gemurmelt. So einen langen Bart hast du nicht gesehen, hast du nicht.
    Hast du nicht, sagte Milica.
    Hast du nicht, sagte ich und nach einer Pause, leise, auf den Marienkäfer schielend, und warum hast du die mitgebracht?
    Ich bin nicht mitgebracht worden!, empörte sich Milica, ich bin hergefahren, weil ich es so wollte. Männer mit einer Meinung, großen Händen, Kopfweh, einer Flinte und so einem – sie sah an Walross herunter – Arsch in der Hose imponieren mir. Ups! Darfst du schon solche Wörter benutzen?

    Imponieren? Ich bin Jugoslawe!
    Walross lachte und Milica lachte. Sie war anders als die Frauen in Višegrad. Immer suchte sie mit den Augen die Umgebung ab, als würde sie jemanden erwarten, auch wenn sie sich unterhielt, sogar wenn sie lachte. Nur auf ihren Walross konzentrierte sie sich ganz. Sie wird es bei uns schwer haben.
    »Das Kapital«, sagte Walross, habe ich mir nicht wieder besorgt, meine alte Ausgabe habe ich nachts gelesen, wenn ich nicht schlafen konnte, und ich schwöre, ich habe kein Wort verstanden. Meine Milica habe ich bestens verstanden. Sie und der Dreipunktemann waren die letzten Passagiere, nachdem ich alle anderen nach Hause gebracht hatte. Der Dreipunktemann erzählte uns, dass man sein Zuhause und seine Synagoge und seine Erinnerung daran, wie man Sätze beendet, geplündert hat. Nur den Hut, den Koffer, den Bart und die Fliege habe er noch. Tarirara könnt ihr mich … das ist mein … ich heiße … Tarirara war aber nicht sein echter Name, den echten hat man ihm auch genommen. Tarirara war sein Lied. Gedankenverloren kratzte er mit dem Nagel am Gummi unter dem Fenster, tarirara, tarirara …, hat er gesungen. Zwei Monate ist er mit uns gefahren. Ich ließ ihn ans Lenkrad, um meine Milica auf der letzten Sitzreihe besser kennen zu lernen.
    Einmal, nachts, irgendwo im slowenischen Hochgebirge, ich lerne gerade Milicas Hals besser kennen, da knallt es! Der Bus bricht links durch die Leitplanke, kracht bergab durch Dickicht, dass es dir die Knochen neu sortiert, schlägt unten auf, ich kann Milica gerade noch festhalten.
    Nicht schlecht …, ruft vorne der Dreipunktemann und winkt einer Radkappe zum Abschied. Um uns eine riesige, leere Fläche und Wind. Der Dreipunktemann macht ein paar Schritte und rutscht fast aus. Sagt er: das … das … nichts konnte ich retten, so viele Jahre sind … aber jetzt …
    Aleksandar! Wir stehen auf Eis! Der Bus steht auf Eis! Auf einem zugefrorenen See! Wohin das Auge sieht: nichts, aber das dunkelblau! Meine Milica und ich tanzen Polka auf dem Eis! Im Scheinwerferlicht lerne ich ihre eisblauen Augen kennen.
Der Dreipunktemann holt aus seinem Köfferchen ein Paar Schlittschuhe und erzählt uns seine Geschichte. Er kennt keine Pausen mehr, er ist geheilt von den drei Punkten!
    Kufen auf Eis, nachts, sagte Milica, der Dreipunktemann fährt in die Dunkelheit, tarirara, tarirara …
    Ich habe das Licht ausgeschaltet, und Milica und ich haben uns endgültig kennen gelernt. Am nächsten Morgen sind wir über den See gefahren, der gute Bus drehte einige Pirouetten, so glücklich wie wir und der Bus war

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