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Wie der Soldat das Grammofon repariert

Wie der Soldat das Grammofon repariert

Titel: Wie der Soldat das Grammofon repariert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sasa Stanisic
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niemand auf der Welt. Bis wir im Radio von Kroatien gehört haben. Nach Osijek, hat Milica sofort gerufen, mein Vater!
    Kennst du Osijek, Halunke?
    Ich kannte Osijek.
    Merk dir Osijek gut!
    Ich kannte Osijek aus dem Fernsehen. Osijek brannte, und es gab etwas Unfassbares zu sehen, unter Decken oder Laken lag es immer wieder auf der Straße, in den Höfen. Stiefel. Unterarme. Opa Slavko war nicht da, um zu bestätigen, dass das, was ich sah, das war, was ich befürchtete. Meine Eltern sagten, es sei weit weg.
    In Osijek habe ich Milicas Vater links und rechts geküsst und war sofort ehrlich mit ihm. Milica, habe ich gesagt, Milica und keine andere!
    Mach ihr bloß das Leben nicht schwer, hat er gesagt, und mir seine Uhr, seinen Tisch und seine Karamellbonbons geschenkt. Dann philosophierten wir ein bisschen. Weibsbilder, Ehe, Trafikanten, Holzhacken, Leben, Gewicht des Lebens. Das philosophierte ich. Er philosophierte: am meisten wog das Leben im Sommer dreiundvierzig. Auf der Flucht vor den Italienern. Nichts gegessen tagelang. Nichts getrunken. Der Himmel – blaue Lava. Zündet dir das Haar aufm Kopf. Ein Hof. Niemand da. Ein Schuppen. Niemand da. Aber Schinken über Schinken. In Pökellake. Geräuchert. Von der Stange weg aßen wir den. Leckten das Salz ab. Und vergaßen das Wasser. Niemand hatte Wasser. Zu viel Salz, zu viel Sonne. Und im Dorf sonnten sich die Italiener um den Brunnen. Dreimal so
viele. Da war das Leben schwer. Niedergemäht haben wir sie. Ordnung und Taktik. Jeder Schuss ein Treffer. Uns ging niemand tot. Und der Brunnen leer. Der Brunnen leer. Da war das Leben schwer.
    Ich erzählte ihm einen Witz: Die Italiener und die Partisanen kämpfen Tag und Nacht in einem Wald, da kommt der Förster und schmeißt sie beide raus.
    Milicas Vater hat nicht gelacht. Er hat sein Unterhemd ausgezogen und uns Sauerkrautsaft nachgeschenkt, als draußen die ersten Schüsse fielen. Wir reden doch nur darüber, was soll das denn jetzt?, hat er gerufen. Milica hat ihren Vater an die eine Hand genommen, mich an die andere. Papa, du gehst. Milenko, du fährst ihn. Ich bleibe, sonst nehmen sie uns das Haus auseinander.
    Du kommst mit!
    Ich lasse das Haus nicht allein!
    Ich lasse dich nicht allein!
    Beweis es mir und komm gleich zurück!
    Und wie sie da stand, meine Milica, Frau und Kommandant, da habe ich ihr all meine Liebe geschworen. Milenko, jetzt ist nicht die Zeit dafür, hat sie gesagt. Ihr Vater hat sich gewehrt, aber wir zogen ihm das Unterhemd wieder an. Bis Zagreb – keine Kontrollen, wir hatten Glück. Ich – sofort zurück, tief in der Nacht war ich da. Die Hölle. Vom Westen her kam man noch rein, aber die Hölle! Die Laternen kaputt, die Häuser im Dunkeln oder in Flammen. Überall Leute, nicht einer glücklich. Den Bus stellte ich in einem Hof ab und dachte: das wars, Bus! Fast hätte ich das Haus nicht mehr gefunden. Im Fenster – eine Kerze. Milica ist in der Küche gesessen und hat ganz langsam eine Kartoffel geschält. Vor ihr ein uraltes Fernsehprogramm. Sie hat geweint …
    Ich dachte, du wärst …, unterbrach ihn Milica.
    War ich aber nicht, und Milica küsste seine Schulter.
    Raus hier und ab in die Sonne: ab nach Italien. Der Bus war noch da und sogar ganz. Milica hat sich ans Steuer gesetzt, weil sie sich in der Stadt auskannte. Die Soldaten kannten
sich aber auch aus, Straßensperre, aussteigen, der Bus wird militarisiert. Sag ich: das ist aber ein friedliebender Bus. Und davon habe ich das hier – Walross bückte sich, Milica strich ihm das Haar aus der Stirn. Eine Narbe zog sich an Walross’ Haaransatz entlang. Ich bin nicht ohnmächtig geworden, sagte er, darauf bin ich stolz. Wollen wir mal sehen, wer schneller ist, hat dann Milica gesagt, unser Bus oder euer Krieg. Sie hat aufs Gaspedal gedrückt und ab ging es durch die Absperrung. Ein Soldat war noch im Bus, meine Flinte auch, er hat das Gleichgewicht verloren, ich nicht, dann war kein Soldat mehr im Bus.
    Und den Fuß nahm ich erst wieder auf der Piazza Verdi in Triest vom Gaspedal, sagte Milica und blieb vor einem Schaufenster stehen.
    Und der Krieg?, fragte ich.
    Der Krieg war uns auf den Fersen, hatte aber kein Visum für Italien, sagte Walross.
    Hat er ein Visum für Višegrad?
    Walross blieb stehen und sah sich um. Wir waren am Platz der Befreiung angekommen. Hier hatte Meister Stankovski seinen Laden. Zoran war nicht zu sehen. Walross legte die Taschen ab und umarmte mich. Wie mutig bist du, Aleksandar ?, fragte er

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