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Wie der Soldat das Grammofon repariert

Wie der Soldat das Grammofon repariert

Titel: Wie der Soldat das Grammofon repariert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sasa Stanisic
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von allen Seiten neue Risse ins Eis keilten und in der Mitte des Sees aufeinander trafen, unter dem Toraschrein,
er ist als Erster verschwunden, nur Sekunden, bevor alles andere, nichts habe ich gerettet, in die Tiefe sank: mein Name, meine Würde, mein Atem für lange Sätze, meine Selbstachtung, mein Vertrauen; eins wusste ich aber, während die Popen mir Wasser gaben, ich wusste, die ganze Welt ist nur ein sehr kurzer Steg, und keine Angst darf man haben vor der Tiefe darunter.

Was wir im Keller spielen, wie die Erbsen schmecken, warum die Stille ihre Zähne fletscht, wer richtig heißt, was eine Brücke aushält, warum Asija weint, wie Asija strahlt
    K aum haben die Mütter zum Abendessen gerufen, mit flüsternden Stimmen, stürmen Soldaten das Hochhaus, fragen, was gibt es, setzen sich zu uns an die Sperrholzplattentische im Keller. Sie bringen eigene Löffel mit, an ihren Handschuhen fehlen die Kuppen. So unbedingt dringen die Soldaten ein, wie sie auch unbedingt die Namen von allen wissen wollen, wie sie in die Decke schießen müssen, wie sie Čika Hasan und Čika Sead aus dem Treppenhaus in den Keller schubsen und zu einem mit Stirnband bringen. Der aber tunkt Brot in die Erbsenbrühe, sagt: nicht unbedingt jetzt. Schnell zu Tisch, Soldaten, bitte, es wird doch kalt, hatten die Mütter nicht gerufen. Es gibt keinen Platz für Rucksäcke und Gewehre und Helme auf den kleinen Tischen, aber Zoran und ich machen für die Kalaschnikow gerne Platz. Wie heißt ihr? Wir heißen ganz gut und dürfen deswegen Helme tragen. Wie es sein kann, dass ein Helm nach Erbsenbrühe riecht, weiß ich nicht.
    Bevor die Soldaten kamen, war alles so, wie es zuletzt immer gewesen ist. Ich durfte ab neun Uhr dreißig nicht aus dem Keller, durfte Marija nicht an den Zöpfen ziehen, tat es aber doch, ich musste Erbsen essen, obwohl diese Erbsen nach Bohnen schmeckten. Pünktlich um neun Uhr dreißig begann auch heute Morgen, wie an jedem Morgen in den letzten neun Tagen, der Krach. Schweres Geschütz, nickten die Leute, und sagten entsprechende Buchstaben und Zahlen auf, VRB 128,
T84. Čika Sead und Čika Hasan stritten darüber, welcher Buchstabe mit welcher Zahl wohin schoss, und ob getroffen wurde. Sie sagten: theoretisch. Als das Kaufhaus gegenüber getroffen wurde, sagten sie: praktisch, und lachten. Čika Sead und Čika Hasan sind Witwer und Rentner, immer am Streiten, immer am Wetten, den einen erwischt man selten ohne den anderen, niemals aber erwischt man sie beide bei derselben Meinung. Das schwere Geschütz, sagte Čika Hasan heute Morgen, ballert vom Panos runter; nein, sagte Čika Sead und putzte seine Brille mit einem kleinen Tuch, die stehen auf der Unteren Lijeska.
    Uns Kindern gefällt »Artillerie« besser als »Schweres Geschütz«. Die Einschläge der Artillerie und das Gekläff der Maschinengewehre kann Edin am besten nachahmen. Deshalb will ihn jede Mannschaft für sich haben, wenn wir Artillerie im Keller spielen. Drei gegen drei, keine Bomben erlaubt, nein, Marija, du darfst nicht mitmachen, Gefangene dürfen gekitzelt werden, unbegrenzte Munition, im Aufgang zum Treppenhaus – Waffenruhe. Wenn Edin tattattatterte, spitzte er die Lippen und schüttelte sich wie ein Verrückter! Fast immer gewann die Truppe, in der Edin diente. Kein Wunder bei seinen Salven und seinem Schütteln.
    Auch heute Nachmittag gab es ein Gefecht, sogar Zoran spielte mit, natürlich als Kommandant. Edin war bei den anderen. Normalerweise liefen die Mannschaften vor dem ersten Schuss in entgegengesetzte Richtungen, versteckten sich in finsteren Kellerecken und warteten lauernd: Wer verlässt die Stellung als Erster und stürmt zum Angriff? Manchmal stürmte keiner, und es wurde langweilig – wir begannen mit Murmeln zu spielen und vergaßen, dass Krieg war. Leichte Beute für den Feind, wenn er dich dann doch überrennt, und deine Waffe ist nur ein Glaskügelchen zwischen Daumen und Zeigefinger, meines immerhin mit einer vierfachen Feder darin.
    Heute folgten wir den anderen heimlich, anstatt uns zu verstecken. Sie verbarrikadierten sich hinter zwei Sauerkrautfässern
und einem verrosteten Bettgestell. Zoran spähte um die Ecke und Nešo nahm sein Winchester-Repetiergewehr von der Schulter. Wir hatten Nešo schon hundert Mal gesagt: die Winchester, das geht nicht, so eine alte Mühle hat hier nichts verloren mit ihrer Bison-Gravur und ihren zwölf Schuss. Da kann er gleich mit Pfeil und Bogen kommen. Schieß ich eben genauer. Gar nicht

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