Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wie der Soldat das Grammofon repariert

Wie der Soldat das Grammofon repariert

Titel: Wie der Soldat das Grammofon repariert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sasa Stanisic
Vom Netzwerk:
genau schoss er, und sah dabei auch noch komisch aus. Am Abend vor dem Schlafengehen und morgens nach dem Aufstehen klebte ihm seine Mutter mit Panzerband die abstehenden Kartoffelohren am Kopf fest, und die grauen Klebestreifen erinnerten uns ständig daran, ihn zu hänseln, ich weiß gar nicht, was die gegen große Ohren hatte.
    Zoran winkte uns heran. Edin und seine beiden Kameraden, Enver und Safet, zwei Uhrmachersöhne aus der Nachbarschaft, die immer überall zu spät kamen, hockten, den Rücken uns zugewandt, da und malten Brüste auf die Sauerkrautfässer. Zoran legte den Zeigefinger auf die Lippen und ging geduckt voran, ich hinterher, das Gewehr fest in den Händen. Leise war das nicht, ich trat auf Steinchen, sie schliffen über dem rauen Kellerboden, kleine Explosionen, dachte ich, dann stürmte Zoran los, Hurrrraaaa!, rief ich und riss das Gewehr in die Höhe. Überrascht und erschrocken wichen Verteidiger vor Aggressoren zurück, tasteten nach ihren Waffen, nur Edin verharrte, drehte den Kopf zu mir, ließ die Kreide fallen und hob sein Maschinengewehr. Bevor er die Lippen spitzen und sich zu schütteln beginnen konnte, warf ich mich auf ihn. Zuckte er zusammen? Duckte er sich? Wollte er ausweichen ? Ich weiß nicht, sah nichts. Wir stürzten zu Boden, rollten umeinander. Ich schoss in seine Seite, du bist tot, rief ich, hab dich, rief ich, trrrr. Er sagte: warte mal, es blutet, stand auf, langte unter die Nase, als würde er aus seiner gekrümmten Hand Wasser trinken und zeigte mir das Blut in der Handmulde. Es blutet, sagte er, mit dem Knie hast du mich, und das Blut rann ihm um den Mund und in den Ärmel. Wie viel Blut hat so eine Nase?, fragte er, und ich sagte: vier Literflaschen voll.

    Nešo sah sich seine Winchester an und schüttelte den Kopf: Leute, bin ich froh, wenn wir wieder rausdürfen, kicken – schon wieder Ladehemmung.
    Als Edins Mutter das Blut sah, legte sie die Hand vor den weit aufgesperrten Mund, riss die Augen auf und hechtete auf ihren Sohn zu. Halt deinen Kopf nach hinten, was ist passiert?
    Aleks … Knie …, murmelte Edin.
    Knie!, schrie sie und packte Edin am Ohr, als hätte sein Ohr und nicht mein Knie das Nasenbluten verschuldet. Sie zerrte Edin zur Treppe, kehrte aber an der Schwelle um, als hätte sie etwas vergessen, hatte sie auch – mich. Es nutzte nichts, dass Edin »keine Absicht« rief, ihre Wut traf auch mein Ohr: sie schüttelte dran, bis es knackte.
     
    Soldaten haben den Männern in den Bauch geschossen. Vornüber sind die zusammengesackt. Wie wenn du einen Volley abkriegst – so ist das. Das habe ich, fantasierte Edin, als er zurückkam, oben aus dem Fenster gesehen. Er flüsterte und drückte ein Handtuch an seine Nase. Ich glaubte ihm kein Wort, sagte aber nichts, welche Soldaten überhaupt, Čika Aziz, der Einzige mit einer Waffe in der Nähe, spielte gerade mit offenem Mund »Ghostbusters« auf seinem C-64, die Nachbarn sahen ihm rauchend zu, und Walross sagte gelangweilt: ordentlich platt gemacht, ich bin dran.
    Erst wenn kein Blut mehr kommen und wenn seine Mutter nicht mehr in der Nähe sein würde, wollte ich ihm zeigen, was ich von seinen Märchensoldaten hielt. Edin faltete das Handtuch auf und zeigte mir, wie viel Blut er verloren hatte. Viel Blut war das, zwei Literflaschen vielleicht, aber ich wusste – Blut wächst nach. Edins Mutter schüttelte den Kopf. Sie stemmte die Hände in die Seiten und lief vor mir auf und ab. Sie klimperte am ganzen Körper. So viel Schmuck? Sie zog die Augenbrauen zusammen und fuchtelte mit dem Zeigefinger vor meiner Nase herum, die Armreife bimmelten heftig. Warte nur!, zischte sie durch die Zähne. Ich schämte mich aber nicht für den Tritt und hatte keine Angst vor ihr – Edin und
ich vertrugen uns doch längst wieder. Warte nur! Ich wartete und bald bimmelte sie davon, zu den anderen Müttern und den Töpfen auf dem Herd.
    Die Erbsen köchelten schon auf dem Gottseidank-dass-wirnoch-Strom-haben. Durch das Luftgitter fiel immer weniger Licht. Zu hören waren vereinzelte Schüsse, ab und an eine Salve, dann Stille, dann eine ferne Explosion, dann wieder Geknatter. Es kam von den Straßen und nicht mehr aus den Bergen. Gegen sieben Uhr wurde es draußen so ruhig, dass unsere Mütter uns ermahnten, stilljetztstill!, obwohl wir gar nichts sagten. Alles war wie immer, nur die Stille drückte lauter als sonst. Warum hörten alle der Stille zu?
    Die Stille fletscht die Zähne, flüsterte Walross. Sonst sagte er

Weitere Kostenlose Bücher