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Wie der Soldat das Grammofon repariert

Wie der Soldat das Grammofon repariert

Titel: Wie der Soldat das Grammofon repariert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sasa Stanisic
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Spielregel: Treppenaufgang – Waffenruhe. Ich setzte mich dazu, rieb mir die schmerzende Wange, sie rieb sich die Augen. Ich sagte: Kanonenrohr, sagte: Tarnfarben, sagte: schneller als Edin. Asija stand auf und rannte weinend die Treppe hinauf.
    Vor zwei Tagen hatte Asija schon einmal geweint. Sie hatte geweint, bis sie einschlief, ihre Hand in meiner. Asijas Onkel Ibrahim hatte es getroffen, als er sich in Čika Hasans Bad rasieren wollte und den Kopf zum Spiegel neigte. In den Hals und ein bisschen in das Kinn hatte es ihn getroffen durch das kleine Fenster im Bad. Čika Hasan erzählte es den anderen, und ich hörte an der Tür mit: minutenlang hat Ibrahim nach Luft gerungen, um Luft gekämpft, als wollte er einen unendlichen Atem schöpfen, um von all den Dingen zu erzählen, die uns bevorstehen. Aber ich hatte, senkte Čika Hasan die Stimme, keine Luft für Ibrahim, und er kletterte in den Tod, ohne seine Geschichte begonnen zu haben, dabei ist sie auch
ungesagt eine Legende geworden! Čika Hasan zeigte, wie er die Hände gehoben hatte, weil alle um Ibrahim bloß herumgestanden waren, und Hasan erzählte, wie er die Augen schloss, weil an Ibrahims Kopf und an den Fliesen und am Spiegel das Blut klebte. Überall Blut, sagte er – überall die Farbe von Kirschen, stellte ich mir vor, und wie sie von den Fingern troff, die in Ibrahims Hals gebohrt wurden, damit er Luft bekam.
    Ich wäre Asija sofort nachgelaufen, hätten die Mütter nicht ein zweites Mal zum Abendessen gerufen und wäre nicht Glas im Treppenhaus zerbrochen und jede Stille unter Schüssen und Rufen und Flüchen verflogen. Asija weint, weil Soldatenfäuste nach Eisen riechen und niemals nach Seife. Weil den Soldaten die Gewehre um die Nacken baumeln und Türen unter ihren Tritten nachgeben, als gebe es keine Schlösser. Sie weint, denn so hatten Soldaten auch in Asijas Dorf die Türen eingeschlagen, sie weint und versteckt sich auf dem Speicher, in dem wir Mäuse jagen, in dem Staub auf den Vitrinen liegt und Fahrräder rosten. Dort werde ich meine Asija gleich finden.
    Hier, im Keller, schöpfen die Mütter Erbsen für uns und die Soldaten. Der mit dem schwarzen Stirnband bricht das Brot und verteilt die Stücke – wehe mir, wenn ich das Brot mit Dreck unter den Nägeln anfassen würde.
    Die heisere Radiostimme sagt: Višegrad.
    Der Soldat mit dem Stirnband sagt: jaja, und steht auf.
    Die Radiostimme sagt: nach erbitterten Gefechten gefallen.
    Der Soldat kratzt sich unter dem Stirnband: gutgut, und nimmt Anlauf.
    Die Radiostimme hebt sich: aber unsere Truppen formieren sich neu!
    Der Soldat murmelt: mmh interessant, aber irgendwie … verantwortungslos. Oder wollt ihr noch mal auf die Fresse? Er tritt mit Vollspann gegen den kleinen schwarzen Kasten, und die Radiostimme sagt nichts mehr. Der Soldat wirft den Großvätern die verbogene Antenne und einen Knopf vor die
Füße: was zum basteln, wer es repariert, dem kauf ichs ab. Er setzt sich wieder. Und ihr! Mehr Speck in die Erbsen! So werde ich nicht satt! Ohne Speck wäre das Leben nur noch lumpig. Du da hinten, du wirst mir Speck aufschneiden – er zeigt mit dem Löffel auf Amela aus dem zweiten Stock. Amela mit den langen schwarzen Zöpfen legt dem Soldaten ein paar Streifen rotes Fleisch über die Hand, sie will sie zudecken. Hast du dir das Kleid selbst genäht?, fragt der Soldat Amela und leckt am Fleisch, sag Ja, und ich werde deine geschickten Finger küssen. Sag vielleicht nicht Nein.
    Amela backt das beste Brot der Welt. Sie sagt nichts. Auch Čika Hasan und Čika Sead, die vor den Sperrholzplattentischen ihre Mützen in den Händen kneten, haben auf keine Soldatenfrage eine Antwort.
    Eci-peci-pec …, reimzählt der Soldat mit dem Stirnband und zielt zum Schluss mit dem Finger auf Čika Sead, nimmt ihm die Brille ab und haucht gegen die Gläser. Einer mit Strumpfmaske bindet Čika Seads Hände mit Draht hinter den Rücken.
    Ich bitte Sie, fleht Čika Hasan die Soldaten an, ich bitte Sie, nicht …, aber das Stirnband setzt sich die Brille auf.
    Im Treppenhaus wieder ein Schuss; sein Echo mischt sich in die Stimmen besorgter Menschen. Wie aus einer Muschel am Ohr klingt das Rauschen der Stimmen von oben bis in den Keller. Asijas Stimme fehlt mir, ich muss Asija finden. Ich überhole den Soldaten, der Čika Sead wegführt und bin auch im Treppenhaus der schnellste. Die Soldaten jagen in Tarnfarben hinab-hinauf, grölen: runter! Raus! Nein! Papiere ! Nein! Hände! Was? Papiere! Wie

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