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Wie der Soldat das Grammofon repariert

Wie der Soldat das Grammofon repariert

Titel: Wie der Soldat das Grammofon repariert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sasa Stanisic
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sich halten im Gleichschritt! Niemand rührt sich aber, bloß die Soldaten heben die Gewehre über die Köpfe und jaulen mit ihren Hunden auf. Klagen und frohlocken: joooj! Pfeifen spitz, gellen um die Wette, joooj, lauter, zacka-zacka-zacka-za! Greifen einander zärtlich um die Taille, zwei Schritte rechts, einer links, joooj! Greift der Sieger der schönen Rothaarigen um die Schultern und schießt über ihren Kopf ein Fragezeichen in die Decke – alle schießen sie zur Antwort, zum Refrain und – joooj! – zur tollwütigen Begeisterung über das Lied. Schaukeln zu viert, zu fünft schon im Halbkreis. Einander um-Taille-um-Schulter: zweirechts-einslinks, zu siebt durch den engen Flur. Zweirechts-joooj-einslinks an Čika Hasan vorbei, der in seine Fessel flüstert: was für eine Zeit ist bloß gekommen, dass du dich vor einem Reigen fürchten musst und vor Lied und Gesang die Ohren verschließt?
    Zither und Akkordeon zerren die Soldaten in den zornigen Reigen, Mützen zu Boden geworfen – joooj! –, jetzt die Sängerin, die Stimme, kurz zu hören, die Soldaten steigen ein: die Stimme sind wir! Das Grammofon sind wir! Die Schreie der Bälger hört niemand mehr – ein Winseln unter dem kehligen Mitdonnern der vor Freude wütenden Armee. Die Armee singt, niemand hält sie auf, sie singt zweirechts-einslinks:
    Niška Banja, topla voda, za Nišlije živa zgoda
Sve od Niša pa do Banje, idu cure na kupanje,

mi Nišlije meraklije ne možemo bez rakije,
bez rakije šljivovice i bez mlade cigančice.
    Ist es nicht so, Männer?, singt der Reigen. Ist es nicht genau so? Mädchen nehmen ein warmes Bad, wir Genießer trinken Sliwowitz, ohne Sliwowitz können wir Männer nicht. Singt auch der Soldat mit dem goldenen Zahn, der nach warmem Brot gierte und Teta Amelas Hände in seine presste und in den Teig tauchte. Er kommt aus Amelas Wohnung, das Lied auf den Lippen, das Hemd aufgeknöpft. Hinter ihm kniet Amela mit einem nassen Schleier aus Strähnen im Gesicht. Lauter als alle singt dieser Hungrige: ohne eine junge Zigeunerin können wir Genießer nicht. Auf seinen Fingern und Knöcheln, unter den Nägeln – gelber Teig. Er schraubt seine Feldflasche auf und setzt sie an die wunde Lippe. Ist es nicht so, Männer? Ohne Schnaps und Zigeunerinnen können wir nicht!
     
    Wäre ich Fähigkeitenzauberer. Dinge könnten trotzen, Geländer, Grammofone, Gewehre, Genicke, geflochtene Zöpfe.
     
    Fische beißen frühmorgens am besten. Ich habe den Würmern Kaffeesatz gegeben, sage ich zu Edin, die sind aufgedreht wie Tante Taifun. Erst gehen wir an den Rzav auf Döbel, dann zur Schule, mal sehen, ob sie noch steht.
    Wir spucken von der Brücke in den kleinen Nebenfluss der Drina. Die Döbel lecken mit ihren Fischlippen die Wasseroberfläche von unten. Edin spuckt wieder, sagt: so eine Schule kriegst du nicht kaputt, aber warum essen Fische eigentlich Spucke?
    Es regnet gleich, sage ich. Vielleicht gehen wir das letzte Mal über die Brücke. Warum bauen die nicht mal so eine wie die über der Drina, die alles aushält?
    Die schafft es, sagt Edin, Panzer hat sie auch getragen.
    Übermorgen ist sie weg, spätestens, wetten?
    An der Mündung zweier Flüsse leben. Früh schwimmen lernen und gut, früh angeln lernen und gut, früh lernen, zur
Schneeschmelze das Wasser aus voll gelaufenen Kellern zu pumpen. Die Nacht war ein einziger Wolkenbruch – die Soldaten gaben uns Decken, aber die Wände im Treppenhaus atmeten Betonkälte aus, und ich wachte mehrmals auf. Aus Čika Seads Wohnung fiel Licht in den Flur, ich ließ Fingerschattenvögel über die Wand fliegen und hoffte, dass ein Donner das stetige Regenrauschen stören würde, aber kein Donner kam. Wie man Fingerschattentiere dressiert, hatte mir Opa Slavko gezeigt. Die Vögel unter ihnen bekamen längst die Fähigkeit zugezaubert, meine Schlaflosigkeit in den Süden zu fliegen. Erst am Morgen, kurz bevor der Soldatenreigen das Gebäude verließ, hörte der Regen auf, ohne dass die Wolken verschwanden.
    Falls die Mütter mitkriegen, dass wir weg sind, sage ich, dürfen wir bestimmt nicht zum Rzav, wenn die Flut die Brücke aushebt. Wovor haben sie Angst? Wenn Soldaten in der Stadt sind, können sie die Stadt doch nicht beschießen.
    Edin zuckt mit den Schultern. In den Fluss wirbeln Regentropfen erste Kreise hinein. Wir stellen uns unter die Brücke. Ich steche den Haken durch einen Wurm und werfe aus. Edin stochert eine Zeit lang mit einem Stock im Schlamm, macht das Geräusch des

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