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Wie der Soldat das Grammofon repariert

Wie der Soldat das Grammofon repariert

Titel: Wie der Soldat das Grammofon repariert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sasa Stanisic
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heißt du? Wie heißt du? Nehmen immer drei, immer sieben Stufen auf einmal. Ziehen in die Wohnzimmer ein, die nach Apfelkompott riechen. Wüten in den weißen Schlafzimmern. Rütteln an Schränken, an Schubladen, an Truhen. Schmieren die Türen mit ihrer Sprache voll, Kreuze und doppelköpfige Vögel, rausraus, alle raus! Wieder und wieder dringt Soldatenbefehl in das Muschelrauschen. Gesichter werden gegen die Wand gepresst,
über die Köpfe die Arme an den rissigen Putz gedrückt. Wen suchen die, einen Namen rufen sie. Ich kenne diese Soldaten nicht, den Namen sehr gut – Aziz.
    Wenn Soldaten fluchen, winselt das Treppenhaus. Wenn sie lärmen, wenn sie brüllen, wenn sie brechen, wenn sie prügeln, wenn sie schimpfen, wenn sie nach Aziz rufen, du verfickter Hurensohn!, bittet die Treppenhausmuschel: aufhören ! Ich zähle die Stufen auf dem Weg zum Speicher so laut ich kann und höre trotzdem alles. Ich sehe: Čika Muharem im zweiten Stock, Čika Husein und Čika Fadil im dritten, die Soldaten drücken ihre Köpfe gegen das Treppenhaus-Geländer. Den Nacken von oben mit den Gewehrkolben oder von der Seite mit dem Stiefel. Čika Fadils Mütze liegt auf dem Boden. Ich renne vorbei, grüße die Nachbarn nicht, ich zähle und zähle. Gegen den Kopf von Herrn Musikprofessor Popović wird nicht gedrückt. Herr Popović trägt Anzug und Fliege, seine Frau Lena eine Perlenkette über der schwarzen Bluse. Die Arme vor der Brust verschränkt, fragt Herr Popović einen der Soldaten: was wollen Sie denn, Herrschaften? Hier sind nur ehrliche Menschen.
    Wir wollen, dass du dein Maul hältst! Hältst du die Fresse, wird nix passieren, und Herr Musikprofessor Popović hält sein Maul.
    Ich will zu Asij a, das ist alles, auch ich halte mein Maul, damit nichts passiert. So schnell wie möglich zu Asija, sie wird Angst haben, sie wird wieder weinen, ich werde sie finden auf dem Speicher mit den vielen Besen, mit Spinnweben zwischen den leeren Flaschen und mit den Mäusen, die man niemals sieht, aber immer hört. Ich stürze durch die Tür zum Speicher, Asija zuckt zusammen und drückt sich gegen die Wand. Du bist es, du bist es! Schnell, die Tür zu, schnell, sie finden uns sonst! Sag mir, finden sie uns? Asija streckt die Arme nach mir aus und fragt schluchzend: hast du meine Mama und meinen Papa bei den Soldaten gesehen? Sind Mama und Papa vielleicht mit den dummen Soldaten zurückgekommen ? Die haben sie mitgenommen, weil sie einen falschen
Namen haben. Woher ihre Eltern zurückkommen sollen, weiß Asija nicht: das weiß niemand, flüstert sie, und niemand soll wissen, dass wir hier sind! Wenn die Soldaten dich finden, nehmen sie dir deinen Ausweis ab und wenn du einen falschen Namen hast, fahren sie dich im Lastwagen mit der grünen Plane weg. Wie Mama und Papa. Vielleicht bringen mich, hebt Asija plötzlich ihren Kopf von meinen Händen und ruft unter noch mehr Tränen, vielleicht bringen mich die Soldaten zu Mama und Papa, wenn ich ihnen meinen Namen sage, hörst du? Vielleicht ist es jetzt für mich gut, falsch zu heißen, hörst du?
    Ich höre es – und höre Schritte, die sich nähern. Ich höre schwere Stiefel und weiß, dass ich den richtigen Namen trage. Und obwohl der Soldat mit gelbem Bart schmunzelt, obwohl er nicht nach Schweiß und Schnaps riecht wie die anderen, obwohl er nur will, dass wir ins Treppenhaus zurückgehen, schreie ich ihn an: ich heiße Aleksandar und das, das ist meine Schwester Katarina, das ist Katarina, nur meine Schwester Katarina!
    Der Name meiner Oma, davon bin ich überzeugt, kann nicht falsch sein. Omas haben niemals falsche Namen. Meine Asija ist meine Katarina, das ist alles dasselbe. Der Soldat sieht sich auf dem Speicher um, unter seinen Stiefeln winseln die Dielen. Raus mit euch! Er spricht leise und wühlt mit den Fingern im Bart, der sich gelb und dicht in sein Gesicht frisst. Asija zögert. Der Soldat geht vor ihr in die Hocke, sein Bart berührt ihre Wange. Sie dreht den Kopf weg. Der Soldat atmet in das Mädchengesicht. Der Soldat flüstert: aufstehen! Ich denke: aufstehen, bitte, aufstehen! Asija erhebt sich langsam und geht hinaus. Ich folge ihr, der Soldat schließt die Tür, ihr rührt euch nicht vom Fleck, verstanden?
    Im Flur im fünften Stock rühren wir uns nicht vom Fleck. Asija reibt sich die Wange. Meine Mutter ruft meinen Namen durch das Treppenhaus. Aleksandar, du kommst sofort runter !
    Ihr bleibt hier, befiehlt der Soldat.

    Nicht mehr die Mütter, die Soldaten

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