Wie der Soldat das Grammofon repariert
bin gestern in Sarajevo gelandet, habe mir ein Zimmer gemietet, drei Tage für dreißig Euro bei einer jungen Frau mit drei Töchtern. Ich fuhr die Endhaltestellen der Straßenbahn ab, hinaus zu den grauen Türmen der Plattenbauten, spazierte durch die Altstadt, mit Händen hinter dem Rücken verschränkt, Blick gegen den Boden gerichtet, als sei ich in Gedanken und gehöre somit hierher, es gibt keine nachdenklichen Touristen. Ich wollte wissen, worüber man in der Stadt spricht, traute mich aber nicht nachzufragen. Ich hörte zu. Ich wollte wissen, wie man auf die Dächer gelangt, ich ging Treppenhäuser riechen, bekam in der Bibliothek eine Nummer, die zu einem Tisch mit Leselampe gehörte. Ich sah Studenten
beim Lernen zu. Am Abend wurde »Orpheus und Eurydike« aufgeführt, ich wollte wissen, was die Unterwelt sein wird, in die der Sohn des Flussgottes steigt, um das schon Verlorene noch einmal zu verlieren, aber ich bekam keine Eintrittskarte, es freute mich, dass Dinge ausverkauft waren. Mich freute alles, was nicht nach Ruine, sondern nach Reichtum aussah oder nach Sorglosigkeit, obwohl ich mir einredete, sorglos sein geht doch gar nicht. Ich stieg auf ein Dach. Ich hatte das Gefühl, etwas aufgegeben zu haben, sah auf die Stadt und wusste nicht, was es war. Ich wollte nicht tanzen, ich wollte sehen, wie man tanzte. Vor dem Club gab es keine Schlange, ich wartete trotzdem und kaufte mir dann doch bloß die Süddeutsche von gestern in einem Kiosk in der Nähe. Auf dem Bett in meinem Zimmer fand ich einen Zettel von der Vermieterin: Pita ist im Ofen, falls du Hunger hast. Ich hatte Hunger, die Fingerschattenvögel flogen wieder über bosnische Wände, ich schlief drei Stunden.
Am zweiten Tag kochte ich Kaffee für die Vermieterin und fragte sie nach Asija. Ich fragte überall nach Asija und hielt Ausschau nach Asijas hellem Haar. In den Straßenbahnen, an den Endhaltestellen, zwischen den Plattenbauten und in den Cafés der Altstadt. Ich las Namensschilder, stieg auf Dächer und suchte die Gegend ab. In jedes Gespräch streute ich ihren Namen, versuchte, Beamte und Notare von der Dringlichkeit meiner Suche zu überzeugen, bekam Einblick in Namenregister, in Flüchtlingsstatistiken, in Opferlisten, man sagte mir, ich käme reichlich spät, ich bat höflich, es bei konstruktiven Kommentaren zu belassen. In der Musikhochschule blätterte ich heimlich die Mitgliederkartei der Bibliothek durch, immer noch überzeugt, dass Asija Geigerin ist. In der Videothek durfte ich die Kundendaten nicht sehen, im Sonnenstudio schon. Unterwegs zwischen den Orten las ich das Telefonbuch. Acht Asijas rief ich an, bei sechs entschuldigte ich mich für die Störung, zwei waren nicht zu Hause, was Anlass zur Hoffnung gab.
Die Straße gibt es in Sarajevo nicht, sagte der Taxi-Fahrer,
als ich ihm Asijas Adresse nannte, die mir Oma Katarina vor Jahren gegeben hatte, und ließ sich das auf mein Drängen hin von der Zentrale bestätigen. Ich ließ mich in eine Straße fahren, die ähnlich klang wie die auf meinem Zettel, klingelte an fünf Türen und las mir alle Klingelschilder durch. Der Himmel war bewölkt, ich gelangte an das Ende der Straße und sah mich um. Kinder schrieben mit bunter Kreide ihre Namen auf den Asphalt. Ich verlasse Sarajevo nicht, bevor ich etwas gefunden habe.
Ich kaufte ein Buch über den Genozid in Višegrad. Ich wollte so lange durch die Stadt streunen, bis mir ein streunender Hund begegnete oder bis mich jemand erkannte, der aus Višegrad hierher geflohen ist. Ich wollte Wellensittichen beim Schnäbeln in einem Fenster zusehen und fragte verstohlen nach Pflaumenmarmelade zu meinen Ćevapčići. Verarsch mich nicht, gab der Kellner zurück, später kam der Regen und anstatt zur Führerscheinstelle zu gehen, betrat ich das kleine Wettcafé mit dem Blick auf die Altstadt.
Mesud, der mit seinem Schnurrbart spielt, mich eindringlich mustert und sagt: Kiko. Kiko von der weichen Drina. Wie du.
Ich wollte einen Kaffee trinken und warten, dass der Regen aufhört. Vier Fernseher an der Wand, in allen lief Teletext, ein Billardtisch in der Mitte des Raumes, Aschenbecher auf den Plastiktischen. Männer in Lederjacke oder Trainingsanzug beugten sich konzentriert über Quotentabellen. Ich bestellte einen türkischen Kaffee. An einem Tisch vor der breiten Glasfront lasen zwei ältere Männer Zeitung, einer trug eine Trainingsjacke mit der Aufschrift »Rot-Weiß-Essen« und der Nummer 11.
So ein Zufall, sagte ich,
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