Wie der Vater so der Tod
meine Haferflocken löffle, denke ich darüber nach, warum meine Mutter meinen Vater geheiratet hat. Sie haben nicht viel gemeinsam. Offen gestanden, ich glaube, es war die Uniform. Allerdings trägt mein Vater inzwischen keine Uniform mehr. Es gelingt ihm aber ganz gut, so auszusehen, als hätte er noch immer eine an. Ich beobachte ihn aus den Augenwinkeln. Er trägt ein perfekt gebügeltes, kurzärmeliges blaues Hemd, Jeans und braune Schuhe, die er aus einem Katalog bestellt hat – wenn ein Paar hinüber ist, ordert er ein anderes, gleiche Marke, gleiches Modell. Ich glaube, das hilft ihm dabei, sich noch immer ein bisschen wie ein Cop zu fühlen. Er würde zurückkehren, wenn er könnte. Wenn nicht die Abteilung für Innere Angelegenheiten wäre. Er verabscheut die Eisenwarenhandlung, doch das behält er für sich. Früher ließ er seinen Frust an Matt und Mom aus, inzwischen nur noch an Mom.
»Ich habe keine Zeit, ihm dabei zuzuschauen, wie er über ein Fußballfeld läuft. Es wartet Arbeit auf mich.«
Ich sehe verwirrt von meinen Haferflocken auf. Es ist, als hätte sich Dad alle verletzenden Worte gemerkt, die er je an meinen toten Bruder gerichtet hat, und würde sie gelegentlich für uns wiederholen. Solange wir zustimmende Laute von uns geben, ist alles in Ordnung. Wenn wir ihm keine Beachtung schenken oder gar widersprechen, zertrümmert er Gegenstände. Oder er stößt Mom irgendwo dagegen.
Dad sieht mich erwartungsvoll an.
»Stimmt, die Zeit hast du wirklich nicht«, sage ich.
Er nickt kurz und liest weiter.
Dad nähert sich dem Ende seines zweiten Tellers Zerealien. Ich trage meinen eigenen und das Glas zur Spüle, wasche beides ab und öffne den Geschirrspüler. Wir benutzen ihn nicht so, wie es eigentlich vorgesehen ist. Es wäre zu viel Lärm für meinen Vater, und deshalb verwenden wir ihn als Trockengestell.
Ich ziehe das obere Fach heraus und stelle Teller und Glas hinein. Dabei fällt mir ein anderes Glas auf, das mir schmutzig vorkommt. Ich sehe genauer hin und entdecke Lippenspuren – offenbar ist das Glas nicht richtig abgewaschen worden. Als ich es herausnehme, bemerke ich ein weiteres schmutziges Glas und stelle fest: Das gesamte Geschirr im Spüler ist dreckig.
Shit! Ich werfe einen Blick in Richtung meines Vaters, um zu sehen, ob ihm was aufgefallen ist. Er scheint nicht auf mich zu achten.
Offenbar hat meine Mutter das schmutzige Geschirr mal wieder versteckt. Das hat sie in letzter Zeit oft gemacht. Sie weiß, dass Dad ausrastet, wenn sie es in der Spüle lässt, aber manchmal fehlen ihr Kraft und Wille für den Abwasch.
Derzeit kann ich nichts tun. Ich lasse das schmutzige Geschirr in der Maschine, schließe die Tür und bete, dass die Schränke genug Teller, Tassen und Gläser enthalten, damit mein Vater nicht nach etwas Sauberem suchen muss. Das Handtuch über der Backofentür rücke ich mit besonderer Sorgfalt gerade, ein klarer Vertuschungsversuch.
»Wo bewahrt deine Mutter das Telefonbuch auf?«, fragt Dad hinter mir, und ich erschrecke.
»Es ist hier.« Ich ziehe es aus einer Schublade und reiche es ihm.
Er bedankt sich nicht, brummt nur, blättert und wählt eine Nummer.
»Bruce? Ich bin’s, Ray. In dieser Woche musst du Überstunden machen. Ich brauche dich heute um neun. Ist das ein Problem?« Dads Stimme lässt keinen Zweifel daran, dass es besser kein Problem sein sollte.
»Wir haben Hochsaison«, sagt Dad zu mir, nachdem er aufgelegt hat.
»Hm«, erwidere ich unsicher und frage mich, warum Ende September Eisenwaren besonders gefragt sein sollten. Er gibt mir Teller und Glas, und ich wasche beides ab. Ich bin kaum damit fertig, als Dad die Garagentür öffnet und sich ans Steuer seines Trucks setzt. Ich trockne mir schnell die Hände ab und folge ihm mit Rucksack und Klarinette.
Mein Vater startet den Motor und trinkt einen Schluck Kaffee. Den Gurt legt er erst an, als wir die Straße erreichen. Er ist nicht an den Sicherheitsgurt gewöhnt und denkt erst daran, wenn das akustische Signal ertönt. »Gottverdammte Regierungsvorschriften«, nennt er es. Vielleicht glaubt er, dass Leute, die so dämlich sind, ein Warnsignal zu brauchen, um sich an den Gurt zu erinnern, den Tod verdient haben. Dad wartet immer, bis das Bimmelbamm aufhört, bevor er den Gurt anlegt. Das scheint bei ihm so etwas wie ein gewaltloser Protest zu sein, ähnlich wie bei Gandhi, obwohl nur Mom, Matt und ich davon wussten. Jetzt weiß es vielleicht nur noch ich.
Nach dem
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