Wie der Vater so der Tod
Sicherheitsgurt kommt das Radio an die Reihe. Keine Musik, wohlgemerkt. Nachrichten und so. Wenn wir mal Musik hören, so trifft allein Dad die Auswahl. Meistens wählt er Gitarrenmusik. Er spielt Gitarre, aber nur zu Hause, für uns. Besser gesagt, er hat für uns Gitarre gespielt, als wir noch in Philly wohnten. Ich erinnere mich, dass wir einmal mit seinem Truck unterwegs waren und er eine CD einlegte, mit Gitarrenmusik und einem Sänger. »Weißt du, wer das ist?«, fragte er.
»Brad Paisley?«, vermutete ich.
»Nein«, sagte er, wirkte aber zufrieden.
»Wer dann?«
»Ich«, sagte er.
»Das ist eine Aufnahme von dir? Klingt richtig gut«, sagte ich, und es war mein Ernst.
Die Musikprobe beginnt um halb acht und dauert die ganze erste Stunde. Um fünf Minuten nach halb acht schlüpft Rachel neben mich. Mr. Sommers hat es sofort auf sie abgesehen. »Rachel! Wo bist du gewesen? Lasst uns endlich anfangen!«
Und los geht’s. Alle spielen und marschieren, bis auf mich. Rachel tritt mir an die Ferse, und ich stolpere nach vorn. Aus meinem Rohrblatt ist ein Stückchen herausgebrochen, aber ich beschließe, nicht hineinzugehen und ein neues zu holen. Wenn ich das Gebäude betrete, kehre ich wahrscheinlich nicht nach draußen zurück. Ich würde die ganze Zeit auf der Toilette sitzen und mir bis zum Mittag die Augen aus dem Kopf heulen. Mit etwas Glück würde ein besorgter Lehrer meinen Vater anrufen und mich von ihm abholen lassen. Also stecke ich mir einfach die Klarinette in den Mund und gebe vor zu spielen. Das Mundstück fühlt sich noch immer groß an, nachdem ich den ganzen Sommer mit der Es-Klarinette geübt habe.
Auf dem Weg zur zweiten Stunde komme ich an Lauren vorbei, die im Flur vor dem Computerraum mit jemandem spricht. Zuerst gehe ich weiter, bleibe dann aber stehen und mache kehrt. Vor Matts Tod war Lauren eine gute Freundin.
Sie geht zur Tür. »He, Lauren«, sage ich, als ob wir gestern und nicht im Mai das letzte Mal miteinander geredet hätten.
Sie wendet sich um und scheint überrascht zu sein. »Hi, Sara.« Ihre Stimme hat noch immer dieses angenehme Echo. La, la, la. Ich blinzle mehrmals, um nicht zu weinen.
»Leihst du mir dein Handy? Ich bringe es dir zurück, wenn ich fertig bin. Bist du dort drin?« Ich deute zum Computerraum.
Sie nickt. »Ja, natürlich.«
Ich nehme das Handy, gehe auf die Toilette und schließe mich in einer Kabine ein. Dann wähle ich die Nummer der Telefonzentrale von Moms Arbeit. Ich muss herausfinden, ob sie tatsächlich an einem Fortbildungsseminar teilnimmt, dabei soll aber meine Telefonnummer nicht erscheinen. Ich meine, welche Tochter weiß nicht, wo ihre Mutter ist?
Ich verstelle meine Stimme, damit sie älter klingt. »Michelle Peters, bitte.«
»Tut mir leid, Misses Peters ist die nächsten beiden Wochen im Urlaub. Aber ich kann Sie mit jemandem in ihrer Abteilung verbinden.«
»Oh.« Urlaub? Hat Mom das ihrem Chef gesagt, oder hat Dad angerufen, um ihre Abwesenheit zu erklären? »Ich habe gehört, sie nimmt an einem Weiterbildungskurs in North Carolina statt.«
»Nein, nein. Bestimmt nicht. Wir haben gar keine Niederlassung in North Carolina.«
Ich scheine einen Klumpen Erdnussbutter in der Kehle zu haben.
»Oh. Na schön. Vielen Dank.«
Ich unterbreche die Verbindung, öffne die Tür der Kabine und versuche, optimistisch zu bleiben. Vielleicht hat Mom ihren Chef um Urlaub gebeten und meinem Vater von einem Weiterbildungsseminar erzählt.
Ich nehme eine Mappe aus dem Rucksack und lege Laurens Handy hinein. Die Unterlagen lasse ich drin. Wozu brauche ich sie noch? Ich verlasse die Schule doch bald, oder?
Ich trotte zum Computerraum, hebe die Mappe, klopfe ans Fenster und deute auf Lauren. Der Lehrer nickt und nennt offenbar ihren Namen, denn kurz darauf erscheint sie an der Tür.
»Danke«, sage ich und reiche ihr die Mappe. Ich gehe, ohne recht zu wissen, in welchem Klassenzimmer man mich erwartet. Eigentlich ist es mir auch egal.
»Sara, warte. Deine Chemienotizen sind hier drin.«
Ich sehe nicht zurück, winke Lauren nur über die Schulter hinweg zu. »Schon gut«, sage ich. »Mach dir deshalb keine Sorgen.«
Als ich die Turnhalle erreiche, bin ich noch immer die Klassenheldin. Jamie, die Kapitänin der Volleyballmannschaft, kommt im Umkleideraum zu mir, als ich gerade das T -Shirt ausziehe. Ich stehe dort mit BH und fühle mich nicht sonderlich wohl dabei, halb nackt mit jemandem zu reden. Jamie trägt ebenfalls nur BH und
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