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Wie der Vater so der Tod

Wie der Vater so der Tod

Titel: Wie der Vater so der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Bilen
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würde ich am liebsten das Fenster öffnen, das am weitesten von ihrem Pult entfernt ist, an der nahen Eiche hinunterklettern und über die Scott Street laufen. Stattdessen hole ich den Kugelschreiber hervor und werfe einen Blick auf das Thema an der Tafel, über das wir schreiben sollen: Erzählt von einem Familienurlaub! Ausgerechnet.
    »Und los«, sagt Mrs. Monroe.
    Ich sehe noch einmal zum Baum hinüber. Dann drücke ich den Kugelschreiber aufs Papier und male runde Muster in die erste Zeile. In der zweiten Zeile schreibe ich fünfmal Urlaub nebeneinander. Das hat uns Mrs. Monroe für den Fall erlaubt, dass uns nichts einfällt. Wichtig ist, dass der Kugelschreiber in Bewegung bleibt. In die Mitte der dritten Zeile schreibe ich: NYC .
    New York City. Mein Vater brachte uns dorthin, am Abend vor dem Umzug nach Michigan.
    »Bist du sicher, dass du nach Michigan zurück möchtest?«, fragte meine Mutter während eines Werbeblocks bei den Abendnachrichten (damals ein Pflichttermin für die ganze Familie).
    Mein Vater schaltete den Fernseher auf stumm. Das machte er immer bei Werbespots.
    »Wahrscheinlich hat sich dort seit deiner Schulzeit viel verändert. Wir müssen nicht unbedingt dorthin, nur weil dein Vater dir den Eisenwarenladen hinterlassen hat. Wir könnten versuchen, ihn zu verkaufen.«
    »Du weißt ebenso gut wie ich, dass diese Gehbehinderung nicht so bald verschwinden wird.« Dad hob das linke Bein auf die Fußstütze und verzog dabei das Gesicht. Dann nahm er die Fernsehzeitschrift von der Couch und warf sie mir zu. »Bitte, leg das weg, Engel!« So nannte Dad mich früher. Nach dem Umzug hörte er damit auf.
    Meine Mom gab den Versuch auf, ihn zum Verkauf des Ladens zu überreden, denn wir alle wussten, dass es dabei gar nicht um Dads Behinderung ging. Es ging um die Abteilung für Innere Angelegenheiten, um seinen toten Partner und das Schuldgefühl des Überlebenden.
    »Schreibtischarbeit kann ich nicht ausstehen. In dem Laden bin ich wenigstens mein eigener Herr. Aber ich dachte mir …« Dad grinste breit, und in seinen Augen funkelte es. »Wir sollten den Kids noch New York zeigen, bevor wir uns in Kornfeldern verirren.«
    »Klingt gut«, sagte Mom. Um ehrlich zu sein, es spielte nie eine Rolle, was sie dachte. Es spielte nie eine Rolle, was wir anderen dachten. Es kam immer nur darauf an, was Dad wollte.
    In New York sahen wir uns als Erstes die Freiheitsstatue an. Mein Vater bat einen Burschen mit der Baseballmütze der Detroit Tigers, ein Foto von uns zu machen.
    Vielleicht waren wir bei jener Gelegenheit zum letzten Mal eine wirklich glückliche Familie.
    Als wir nach Michigan kamen, jagte Dad keine Verbrecher mehr, sondern verkaufte Bauholz und Schraubenzieher.
    Es gefiel ihm nicht, Schraubenzieher zu verkaufen, aber für die Kunden tat er so, als machte es ihm Spaß.
    Zu Hause sah alles ganz anders aus.
    »Wie siehst du denn aus?«, spricht mich Zach im Flur an, zwischen der dritten und vierten Stunde. »Was ist los?«
    »Das sage ich dir in der Mittagspause.« Ich gebe ihm einen Fünfer. »Bitte besorg mir ein Sandwich in der Kantine und komm dann zum Dairy Dream , ja?« Die Eine-Minute-Warnung läutet.
    »In Ordnung. Muss los. Habe Fisher in der nächsten Stunde und darf nicht zu spät kommen.« Zach klopft mir auf den Rücken und bahnt sich einen Weg durchs Gedränge im Flur.
    Als ich mich auf den Weg zum Geschichtsunterricht mache, legt sich mir ein Arm um die Schultern. Zach hat gemerkt, dass was nicht stimmt , schießt es mir durch den Kopf.
    Aber es ist Alex. »Meine Güte, du siehst schrecklich aus.«
    Unter anderen Umständen wäre ich sauer auf ihn, aber so, wie er den Kopf zur Seite neigt und mir mit dem Finger über die Wange streicht … Aus irgendeinem Grund fühle ich mich plötzlich außer Atem, und es macht mir gar nichts aus.
    »Ist alles in Ordnung mit dir?«
    »Ja«, sage ich. Sobald meine Mutter eintrifft und mich abholt.
    »Gehst du zum Geschichtsunterricht?«
    »Wohin sonst?«
    Jemand hat es so eilig, sein Klassenzimmer zu erreichen, dass er mich gegen Alex stößt.
    »He, pass auf!«, ruft Alex. Er will ein »Shit« hinzufügen, doch dann sieht er mich an und lächelt. Er hebt mein Schulheft auf und reicht es mir.
    »Danke«, sage ich.
    »Ich dachte, du würdest heute vielleicht Geschichte ausfallen lassen, statt Mathe.«
    »Nein.«
    »Wir könnten zusammen weg.«
    Ich sehe ihn an. Das wellige Haar hängt ihm in die Augen. Ich möchte es zur Seite streichen. An einem

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