Wie der Vater so der Tod
Garagentor noch geschlossen ist.
»Ich würde dich gern ins Haus einladen, aber drinnen ist alles in Unordnung«, sage ich. In Wirklichkeit würde ich gern noch einmal auf der Klavierbank mit ihm knutschen.
»Sei mir nicht böse, aber das glaube ich nicht.«
»Ich muss meine Hausaufgaben erledigen.« Ich muss herausfinden, wo meine Mutter ist.
»Nee. Auch das kaufe ich dir nicht ab.«
»Na schön. Offenbar kann ich dir nichts vormachen, und deshalb vertraue ich dir die Wahrheit an: Ich bin eine russische Spionin und habe den Auftrag, die Highschool von Scottsfield zu infiltrieren.« Und jetzt muss ich gehen, denn gleich kommt mein Vater, und wenn er mich hier antrifft, geht’s rund.
»Ich habe immer gewusst, dass mit Altman was nicht stimmt. Du hast es auf ihn abgesehen, nicht wahr?«
»Genau.«
»Bis um halb acht?«
»Ich werde da sein.« Es sei denn, meine Mutter kommt, um mich abzuholen, oder ich bin tot. Oder beides.
Bevor er noch etwas sagen kann, springe ich aus dem Wagen und winke. Alex fährt los, hält noch einmal an und dreht das Fenster herunter. »Fast hätte ich es vergessen«, sagt er. »Ich habe Wildfire für dich heruntergeladen. Hier.« Er wirft mir einen Speicherstick zu, gibt Gas und wirbelt eine Staubwolke auf, als er davonbraust. Oh, das hätte meinem Vater gefallen. Hoffentlich legt sich der Staub, bevor Dad eintrifft.
Ich gehe ins Haus und schiebe den Stick in meine Reisetasche. Ich bin ziemlich sicher, dass der Song kein gutes Ende hat, und deshalb beschließe ich zu warten, ihn erst dann anzuhören, wenn meine Mutter zurückkehrt. Außerdem packe ich meine übrigen Sachen, damit für Dienstag alles bereit ist. Ich lege alles in die Tasche, abgesehen von den Dingen, die Dad zu sehen gewohnt ist, wie Sam und mein Fotoalbum.
Normal. Ich muss mich normal verhalten, wenn Dad heimkehrt. Dieses Wochenende muss einfach nur eins von vielen sein. An einem normalen Samstagnachmittag übe ich auf meiner Klarinette, und genau das tue ich auch heute.
Ich hole die geschrumpfte Klarinette, den Notenständer und einige Notenblätter aus meinem Zimmer und gehe damit zum Kürbisfeld, das sich in der Mitte unseres Vorgartens befindet. Ich habe Kürbisse immer sehr gemocht. »Wäre es nicht cool, ein Kürbisfeld anzulegen?«, habe ich deshalb vor einigen Jahren beim Essen gefragt.
»Nein«, widersprach Matt. Meiner Mutter war es egal. Bei meinem Vater hingegen fand mein Vorschlag Anklang. »Gute Idee«, sagte er. Am nächsten Tag machte er sich mit der Bodenfräse an die Arbeit. Glücklich lief ich nach draußen und sah ihm dabei zu.
Er lächelte mich an. Inzwischen lächelt er überhaupt nicht mehr.
Wenn die Kürbisse groß genug sind, setze ich mich manchmal drauf. Wenn nicht, sitze ich auf der hölzernen Bank, die Dad für mich gebaut hat – sie befindet sich zwischen dem Kürbisfeld und unserem Schlittschuhteich. Nun, wir nennen ihn Schlittschuhteich, aber in Wirklichkeit handelt es sich um einen tiefer gelegenen Bereich, in dem sich Wasser sammelt, das im Winter gefriert. Matt und ich sind darauf oft Schlittschuh gelaufen. Auf einem vereisten Feld gibt es natürlich jede Menge Buckel. Matt gab sich immer alle Mühe, mich zu fangen, bevor ich fiel, aber oft stürzten wir beide übereinander aufs Eis und lachten. Dann saßen wir eine Weile da und sprachen miteinander, bis uns zu kalt wurde und wir auf einen heißen Kakao ins Haus gingen.
Ich setze mich auf die Bank, stelle den Notenständer auf und befestige die Notenblätter mit Wäscheklammern. Der Wind fühlt sich gut an. Ich beginne mit Russian Sailor’s Dance , einer Melodie, die mir wegen ihrer Schnelligkeit gefällt. Dann spiele ich I Had a Bad Day . Matt mochte das Lied besonders gern. An dem Tag, als er starb, hatte er es auf dauernder Wiederholung.
»Unternehmen wir noch die Radtour, Sara?«, hatte Matt gefragt, als er auf dem Parkplatz der Schule an seinem kirschroten Cabrio lehnte.
Ich hatte nie zuvor von einem Karmann-Ghia gehört, bevor Matt damit nach Hause gekommen war. Das Auto stammte von Volkswagen, was bedeutete: Matt liebte den Wagen, weil er erstens ein ausländisches Modell war und weil er zweitens verdammt gut aussah. Dad hasste ihn, weil er immer noch gegen alles Ausländische war, wegen der Sache mit seinem toten Partner. Also musste Matt den Wagen ganz allein in Ordnung bringen. Selbst wenn mein Vater das Cabrio nicht schon aus Prinzip verabscheut hätte, er wäre ohnehin keine große Hilfe gewesen. Er wusste
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