Wie deutsch ist das denn?!
Glück in der Fremde suchten. Etwa ab dem 4. Jahrhundert gab es jüdische Siedlungen auch in den römischen Gebieten Germaniens, und damals begegnete man sich noch ganz unbefangen. Juden und Germanen (die damals noch lange keine Christen waren) zeugten jahrhundertelang gemeinsame Nachkommen, bevor mittelalterliche Judengesetze diese Mischehen verboten. Aufgrund ihrer Wirtschaftskraft genossen die Juden unter den ottonischen und salischen Kaisern bis weit ins 11. Jahrhundert hinein sogar besondere Privilegien. Erst während des Ersten Kreuzzugs ab 1095, bei dem Juden als » Feinde der Christenheit « stigmatisiert wurden, begann ihre jahrhundertelange Verfemung und Verfolgung.
Nichtsdestotrotz war gerade das Mittelalter, wie Dirk Hoerder schreibt, » eine Zeit vielfältiger Mobilität im deutschsprachigen Zentraleuropa mit seinen bi- oder mehrkulturellen Regionen « .Damals gab es einen unbeschränkten europaweiten Arbeitsmarkt, und so zog auf dem Gebiet des heutigen Deutschland ein internationales Mischvolk aus fast aller Herren Länder umher. Insbesondere Handwerksgesellen waren oft mehrere Jahre auf Wanderschaft, und nicht selten wurden sie durch Heirat oder Geschäftsübernahme in einer fremden Stadt sesshaft. So machten Migranten zum Beispiel in Frankfurt am Main um 1600 rund 40 Prozent der gesamten Stadtbevölkerung aus– das übertrifft sogar die heutigen Verhältnisse in manchen deutschen Großstädten.
Ab dem 15. Jahrhundert wanderten dann Sinti zu uns ein, die zum ursprünglich indischen Volk der Roma gehören. Woher ihr Name stammt, ist bis heute ungeklärt; eine Ableitung des Wortes von der pakistanischen Landschaft Sindh klingt zwar plausibel, lässt sich aber nicht belegen. Zwischen dem 5. und 10. Jahrhundert brachen die Sinti zu ihrer Westwanderung auf, die sie Jahrhunderte später auch nach Mitteleuropa führte. In Deutschland, wo sie als Händler, Gold-, Kunst- und Waffenschmiede sowie Musikinstrumentenbauer ihren Lebensunterhalt verdienten, werden sie erstmals 1407 urkundlich erwähnt. Zunächst waren sie wegen ihrer Kunstfertigkeit ähnlich geschätzt und mit Privilegien ausgestattet wie die Juden, doch im ausgehenden Mittelalter war es aus mit der Gunst der Herrscher, und die Sinti wurden praktisch rechtlos. Am treffendsten ist hier der Vergleich » Wasser und Öl « : Ablehnung und Hass auf die nicht anpassungswilligen » Zigeuner « gärten immer weiter und gipfelten schließlich im Dritten Reich, als im Zuge des Holocaust rund eine halbe Million Sinti und Roma ermordet wurden.
Entgegengesetzt dazu verlief die Geschichte der französischen Protestanten (Hugenotten), die sich als Einwanderer höchst erfolgreich in Deutschland niederließen und integrierten. Vor allem Brandenburg-Preußen warb schon ab dem 16.Jahrhundert ausländische Siedlerfamilien an, um der demografischen Auszehrung durch den Dreißigjährigen Krieg entgegenzuwirken. So ließen sich neben Polen, Niederländern, Österreichern und Schweizer Mennoniten auch die in ihrer Heimat verfemten Hugenotten nicht lange bitten– besonders ab 1685 nicht, als » Sonnenkönig « Ludwig XIV . die protestantische Minderheit seines Landes systematisch einkerkern und umbringen ließ. Aus allen Regionen Frankreichs strömten die Flüchtlinge in tolerantere Nachbarländer; annähernd 50 000 kamen nach Deutschland, davon allein 20 000 nach Preußen, wo sie als wirtschaftlich leistungskräftige Neubürger hochwillkommen waren.
Hier sind wir im Übrigen wieder ganz bei » Wasser und Milch « : Blieben die Hugenotten in der brandenburgischen Kolonie anfangs noch weitgehend unter sich, so gab es in der zweiten Generation– und erst recht in der dritten– schon zahlreiche Mischehen. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts suchten sich bereits 70 Prozent der Einwanderer deutsche Partner. Aus diesen Verbindungen ging so etwas wie eine neue Elite hervor. Bekannte Vertreter der hugenottischen Volksgruppe sind zum Beispiel Theodor Fontane und der Verleger Anton Philipp Reclam, in heutiger Zeit der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier, die Politiker Lothar und Thomas de Maizière sowie der Schauspieler Sky du Mont.
Zunächst gewaltsam, aber später umso reibungsloser verlief die Integration der ersten Türken in Deutschland. Im Zuge der Türkenkriege des 17. und 18. Jahrhunderts, besonders nach der Niederlage des osmanischen Heeres vor Wien 1683, machte das Kaiserreich schätzungsweise bis zu 10 000 Gefangene, die
Weitere Kostenlose Bücher