Wie deutsch ist das denn?!
nach Deutschland verschleppt und vollständig assimiliert wurden– darunter auch Frauen und Kinder. Viele der Männer wurden an deutschen Adelshäusern als exotische Hoflakaien (genau genommen Sklaven) beschäftigt; später entließ man die » Beutestücke « nach und nach in die Freiheit und machte sie mit deutscher Gründlichkeit zu Abendländern. Zum Standardprogramm gehörten das intensive Erlernen der deutschen Sprache und ein christlicher Religionsunterricht mit anschließender Zwangstaufe, die meist als öffentliches Massenspektakel inszeniert wurde. Was herauskam, waren normale deutsche Untertanen, denen man alles Türkische restlos ausgetrieben hatte. Bei dieser Gelegenheit erhielten sie auch neue Namen– nicht selten mit Bezug auf den Ort ihrer Herkunft.
Rechnet man die Vermehrung dieser » Deutschtürken « über die verschiedenen Generationen bis heute hoch, dann dürften ihre Nachkommen die Gesamtzahl der im 20. und 21. Jahrhundert eingewanderten Türken locker erreichen, wenn nicht sogar übertreffen. Die ursprünglichen Wurzeln schimmern bis heute in Tausenden deutscher Familiennamen durch, wenngleich es für Türk, Türck, Türke und Türcke unterschiedliche Herkunftsdeutungen gibt . Außerdem finden sich im Adressbuch mehrere hundert Soldans (= Sultan).
Machen wir einen Sprung in die jüngere Vergangenheit. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts beschleunigte sich der Wandel von der Agrar- zur Industriegesellschaft in ganz Europa rasant, und dementsprechend wuchs auch der Bedarf an Arbeitskräften. So erlebte Deutschland schon damals einen Vorgeschmack dessen, was wir aus der Zeit des » Wirtschaftswunders « in den Fünfzigerjahren des vorigen Jahrhunderts kennen: den massiven Zuzug ausländischer Arbeiter– die seinerzeit allerdings noch nicht » Gastarbeiter « , sondern » Wanderarbeiter « hießen. Importiert wurden sie vor allem aus Skandinavien sowie den ost- und südeuropäischen Randstaaten, in denen man damals besonders wenig zu beißen hatte.
Bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs war die Zahl ausländischer Billiglöhner in Deutschland auf 1,2 Millionen angestiegen. Während des Krieges wurde die große Mehrheit von ihnen praktisch zu Gefangenen; sie mussten Zwangsarbeit leisten und konnten nicht mehr in ihre Heimat zurück. Unter anderem gehörten dazu Hunderttausende von Polen, die teils in der Landwirtschaft, vor allem aber als Bergarbeiter im Ruhrgebiet eingesetzt wurden. Mit rund einer halben Million » Ruhrpolen « stellte die Industrieregion zwischen Dortmund und Duisburg quasi eine polnische Kolonie dar, und dieser Immigrationsschub wirkt bis heute nach– denn viele der polnischen Arbeiter assimilierten sich, heirateten deutsche Frauen und ließen sich an Ruhr und Emscher dauerhaft nieder. Bezeichnend: Während der Glanzzeit des Fußballclubs FC Schalke 04 zwischen 1934 und 1942, in der die Knappen sechs deutsche Meistertitel abräumten, bestand nahezu die gesamte Mannschaft aus Spielern polnischer Abstammung.
Nicht unerwähnt bleiben darf auch die Einwanderung aus Russland, die während des 20. Jahrhunderts in mehreren Wellen stattfand. So suchten im Gefolge der Russischen Revolution bis zu zwei Millionen Flüchtlinge aus dem ehemaligen Zarenreich ihr Heil in Deutschland– überwiegend gebildete und wohlhabende Bürger unterschiedlichster Provenienz. Deutsche Stammbäume waren ebenso vertreten wie jüdische, ukrainische, baltische, armenische oder tatarische. Allerdings zogen die meisten dieser Neuankömmlinge aufgrund der restriktiven deutschen Einwanderungspolitik in andere Länder weiter, vorzugsweise nach Frankreich.
Eine weitere Generation Entwurzelter hinterließ der Zweite Weltkrieg im westlichen Teil Deutschlands, nachdem die Nazis für ihre Zwangsarbeitslager Millionen von Menschen aus den besetzten Ländern verschleppt hatten. Die Mehrzahl von ihnen zog es nach dem Krieg verständlicherweise zurück in ihre Heimat. Russen– die von den Sowjets der Kollaboration mit dem Feind beschuldigt worden waren– und andere, die aus nun kommunistisch besetzten Ländern stammten, blieben allerdings oft wohl oder übel in der Bundesrepublik. Während des Kalten Krieges flüchteten außerdem zahlreiche Dissidenten aus der Sowjetunion in den Westen und ließen sich zum Teil auch in Deutschland nieder. Die letzte größere Einwanderungswelle schließlich, die noch immer nicht ganz verebbt ist, begann mit der Zeit der Perestroika und dem nachfolgenden Zusammenbruch des
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