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Wie deutsch ist das denn?!

Wie deutsch ist das denn?!

Titel: Wie deutsch ist das denn?! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Ahrens
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und anpassungsfähig « , stellte der Münchner Journalist und Grünen-Politiker Georg Etscheit in der Süddeutschen Zeitung ganz richtig fest. [25]
    Nebenbei bemerkt, hat der Stammtisch noch keine sehr lange Tradition. Der Brauch kam erst im 19. Jahrhundert auf, und das natürlich nicht von ungefähr. Im Zuge wachsenden Freiheits- und Selbstbewusstseins nahm sich das Bürgertum heraus, das politische Geschehen nicht mehr einfach über sich ergehen zu lassen, sondern am runden (oder auch eckigen) Tisch darüber zu diskutieren und sich seine eigene Meinung zu bilden. Von daher steht der deutsche Stammtisch, allen Unkenrufen zum Trotz, eher in einer linksliberalen Tradition; sogar Marx und Engels sollen des Öfteren in einer solchen Runde gesichtet worden sein. Und auch heute ist es ja entgegen dem verbreiteten Stereotyp nicht so, dass hier nur schlichte Gemüter herumhocken und kungeln würden. Tatsächlich war der traditionelle Dorfstammtisch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein eher den gebildeten Schichten vorbehalten, den Honoratioren und Doktoren der Gemeinde. Wer da zu hocken pflegte und auch heute oft hockt, beschreibt Kurt Tucholsky mit großstädtischer Süffisanz in der Glosse » Kleine Station « , die er 1926 in der Weltbühne veröffentlichte:
    » Am Stammtisch sorgen der Amtsrichter, der, ach Gottchen, Referendar, der Apotheker und der Postinspektor für die Aufrechterhaltung der Republik, wie sie sie auffassen. Manchmal darf da auch der Redakteur sein Bier trinken. «
    Wie immer man es sieht– als unterste Säulen im Tragwerk der Republik erfüllen Stammtische durchaus eine nützliche Funktion. 2009 stellte der englische Publizist Roger Boyes anerkennend fest: » Grundsätzlich gilt, dass man am Stammtisch offen reden kann, und daher wirkt er sich fast immer positiv auf das Gemeindeleben aus und umgeht bürokratische Hürden. « [26] Insofern ist der Stammtisch im Grunde eine urdemokratische Angelegenheit.
    Im Übrigen: Dass man sich in der Kneipe trifft, um bei Alkohol und Tabak (Letzterer entfällt inzwischen weitgehend) zwanglos über Politik und Gesellschaft zu diskutieren, ist natürlich– mal wieder– kein exklusiv deutscher Brauch. Zwar sitzt die Runde hierzulande am Eichentisch mit dem berühmten Schild darüber, während man in anderen Ländern die Bar oder den Clubsessel bevorzugt, doch der Sinn und Zweck ist im Wesentlichen derselbe.
    Großbritannien liefert ein klassisches Beispiel– wobei sich hier das Zusammenhocken nach altbritischer Sitte in ein Unter- und ein Oberhaus aufteilt. Für die breite Masse gibt es die Einrichtung der Pubs, die sich bis ins frühe Mittelalter zurückverfolgen lässt: Nach dem Untergang des Römisch-britischen Imperiums und dem Verschwinden der römischen tabernae gingen als Ersatz im 5. Jahrhundert aus Privathäusern die sogenannten alehouses hervor. Diese Einrichtungen erfüllten schon damals die Funktion dörflicher Foren, wo man sich traf, über alles Mögliche diskutierte und sich gegenseitig half. Später entstand dafür die Bezeichnung public house, die sich im Viktorianischen Zeitalter zu pub verkürzte.
    Auf jeden Fall sind die britischen Pubs älter als selbst die ältesten deutschen Wirtshäuser. Während bei uns das aus dem 12. Jahrhundert stammende » Gasthaus zum Riesen « in Miltenberg am Main die Methusalem-Trophäe beansprucht, streiten sich die Briten um ganz andere Jahreszahlen. Den offiziellen Rekord hält laut Guinness Book Ye Olde Fighting Cocks in St. Albans (Hertfordshire), erbaut im 11. Jahrhundert . Heftig angefochten wird dieser Eintrag allerdingsvon Ye Olde Man & Scythe in Bolton (Greater Manchester), das für sich über zweihundert Jahre mehr reklamiert, ebenso wie Ye Olde Trip to Jerusalem in Nottingham.
    Wie auch immer– als Institution darf sich das Pub einer langen und traditionsreichen Vergangenheit rühmen. Noch heute ist es in vielen kleinen Gemeinden der Mittelpunkt des öffentlichen Lebens, ähnlich wie das Wirtshaus oder der » Krug « in deutschen Dörfern. Und auch in ihm hat sich teilweise bis heute ein Brauch erhalten, der dem deutschen Stammtisch wesensverwandt ist– nämlich das Abhalten von Gesprächsrunden in abgetrennten Hinterzimmern, zu denen nur bestimmte Stammgäste Zutritt haben.
    Treffpunkt der gehobenen Schichten waren dagegen eher die coffeehouses, von denen es im frühen 18. Jahrhundert allein in London über fünfhundert gab. Ganz wie beim orientalischen Vorbild wurde in diesen Etablissements über

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