Wie die Hells Angels Deutschlands Unterwelt eroberten (German Edition)
schlimme Szenarien. Über eines waren sich die LKA-Experten einig: Die neuen Brüder waren einzig rekrutiert worden, um verloren gegangenes Terrain von den Bandidos zurückzuerobern.
Genau das taten sie jetzt. Die Situation in Berlin verschärfte sich weiter.
Erste Opfer des sich verstärkenden Konflikts wurden zwei Ex-Bandidos. Nur einen Monat nach dem Trikotwechsel, im März 2010, griffen vier Bandidos ihre ehemaligen Brüder in einem Club der Hells Angels in Berlin-Weißensee an. Sie attackierten einen 27-Jährigen mit Messern und Baseballschlägern, stachen ihn nieder und fügten ihm eine schmerzhafte Schädelprellung sowie eine Platzwunde am Kopf zu. Die Verletzungen mussten stationär im Krankenhaus behandelt werden. Sein Begleiter musste eine Vorahnung gehabt haben, dass er sich an diesem Tag in einem Kriegsgebiet aufhalten würde; er trug eine schusssichere Weste unter der Kleidung. Die Weste stoppte einen potenziell tödlichen Messerstich in den Brustkorb. Er zog sich lediglich einige Schnittwunden an der Hand zu, die vermutlich von Abwehrversuchen stammten. Der Staatsanwaltschaft Berlin gelang es, die vier Angreifer im Alter von 20 bis 28 Jahren zu ermitteln. Sie wurden wegen gemeinschaftlich versuchten Totschlags sowie Körperverletzung angeklagt.
Bevor das frisch rekrutierte Charter der Höllenengel in den kriegerischen Konflikt in Berlin eingreifen konnte, bekamen die Neu-Angels unerwarteten Besuch. Unter Federführung des LKA Berlin stürmten 200 Polizeibeamte, darunter zwei mobile Einsatzkommandos und ein Spezialeinsatzkommando, 24 Privatwohnungen von Mitgliedern des Hells Angels MC Berlin City. Der Schwerpunkt der Durchsuchungsaktionen lag in den Westberliner Stadtteilen Wedding und Kreuzberg. Der Tatvorwurf auf den Durchsuchungsbefehlen lautete »gewerbsmäßiger und bandenmäßiger Handel« mit Drogen und Anabolika. Die Polizisten nahmen 15 Männer fest und beschlagnahmten Drogen, Bargeld in fünfstelliger Höhe, Hieb- und Stichwaffen sowie Computer. Drei der Verhafteten wurden wegen Handels mit Kokain in Untersuchungshaft genommen.
Nur zwei Wochen später konnte wiederum ein Großaufgebot der Polizei eine erste größere Konfrontation verhindern. Sie stoppten am Abend des Rosenmontags eine 30-köpfige Streitmacht von Mitgliedern der Bandidos, kurz bevor diese das Vereinsheim der Abtrünnigen an der Residenzstraße erreichen konnte. Dieser Einsatz sollte den Behörden einen ersten Vorgeschmack von der explosiven Lage in der Hauptstadt liefern. Der Bandidos MC brannte geradezu auf Rache an den Verrätern. Der Übertritt Kadir P.s hatte sie auch auf einer persönlichen Ebene getroffen.
Der Konflikt eskalierte fortlaufend. Am 10. September 2011 konnten nur starke Berliner Polizeikräfte, darunter zwei Einsatzhundertschaften und Experten des LKA, eine direkte Konfrontation unterbinden. Das Stammlokal der Männer um Kadir P. liegt nur 200 Meter vom Clubhaus des nächsten Bandidos-Chapters entfernt. Es gelang den Polizisten, beide Gruppierungen auf dem Winterfeldplatz in Berlin-Schöneberg zu trennen und zahlreiche Hieb- und Stichwaffen zu beschlagnahmen.
Ein zwischenzeitlich öffentlichkeitswirksam inszenierter Waffenstillstand zwischen dem Hells Angels MC und dem Bandidos MC (siehe Kapitel 10, »Der angebliche Friedensschluss von Hannover«), der Politik, Bevölkerung und Polizeibehörden beschwichtigen sollte, reichte offensichtlich nicht bis nach Berlin.
Es folgte eine Brandstiftung in einem den Hells Angels zugerechneten Lokal und eine Schlägerei zwischen Kadir P.s Männern und Bandidos an der Boxhagener Straße in Friedrichshain.
Die Berliner Behörden erhöhten daraufhin den polizeilichen Druck gegen die gewalttätigen Gruppierungen. In der Nacht des 27. September 2011 stürmten schwer bewaffnete Spezialeinsatzkommandos das zweite Mal innerhalb einer Woche das Vereinsheim der Höllenengel an der Residenzstraße. Alle anwesenden Personen wurden überprüft und polizeilich registriert. Die Einsatzkräfte beschlagnahmten mehrere Messer und eine Axt. Zwei Personen erlitten bei der Durchsuchungsaktion leichte Verletzungen.
Es fallen wieder Schüsse in Berlin
Am Donnerstagabend, den 6. Oktober 2011, fielen Schüsse auf ein Tattoogeschäft und einen Laden für Szeneklamotten in dem vom Bandidos MC dominierten Stadtteil Reinickendorf. Beide Geschäftslokale rechnen Berliner Ermittler dem Umfeld des Bandidos MC zu.
Ein Fahrradfahrer zog im Vorbeifahren gegen 18.25 Uhr eine Waffe und schoss auf
Weitere Kostenlose Bücher