Wie die Welt endet: Roman (German Edition)
Waffen.
» Lauf!«, sagte Ange. Ich war dankbar für diese Anweisung, denn ich war völlig durcheinander. Wir brachen durch das Bambusdickicht. Zu rennen war fast unmöglich– die Stängel schlugen mir ins Gesicht, zerrten an meinen Armen.
Hinter uns hörte ich Rufe und angestrengtes Keuchen. Ich sah mich um. Drei Männer waren uns dicht auf den Fersen. Ich wollte schneller rennen, kam aber dadurch noch schlechter vorwärts.
Schwere Hände rissen mich an den Schultern zurück, warfen mich zu Boden. Ich landete auf einem Ohr, spürte, wie sich ein Knie in meinen Rücken grub.
» Sie hat Danny erschossen! Sie hat meinen Danny erschossen!«, kreischte eine Frau. » Mein Danny ist tot. Oh Gott, mein Danny ist tot!«
» Pistole! Pistole her!«, brüllte der Mann auf meinem Rücken.
» Hier«, sagte ein anderer.
Ich spürte einen Pistolenlauf im Nacken, dann wurde ich auf die Füße gezerrt. Der Mann, der mir die Waffe in den Nacken drückte, war in den Sechzigern. Er hatte einen silbernen Spitzbart und wachsame blaue Augen.
» Fangt sie!«, schrie eine weißhaarige Frau. Ich folgte ihrem Blick.
Ange war stehen geblieben, als sie mich stürzen hörte. Sie hielt die Pistole immer noch fest in der Hand. Ein junger Mann warf sich auf sie, und beide gingen in einer Staubwolke zu Boden.
An einem Fuß schleifte der Mann Ange zu uns herüber. Dannys Mutter rannte zu ihr, trat ihr gegen den Kopf und schrie unverständliche Flüche, während Ange versuchte, den Kopf mit den Armen zu schützen, und gleichzeitig strampelte, um ihren Fuß zu befreien.
» Er wollte mich erschießen!«, sagte ich. » Ich habe gar nichts getan, aber er wollte mich erschießen.«
» Was hast du denn erwartet?«, sagte der Mann, der mich festhielt. » Dass er dich zum Essen einlädt?«
» Es tut mir leid…«, begann Ange.
» Halt’s Maul!«, kreischte Dannys Mutter. Wieder trat sie wütend auf Ange ein. Sie war eine hässliche Frau mit einem Hundegesicht, triefäugig und mit tiefen krummen Stirnfalten, es fehlten nur noch die Schlappohren. Atemlos wankte sie zu dem Toten zurück, kniete sich neben ihn und schob die Hand unter seinen Kopf. Seine Zunge ragte zwischen den Lippen hervor.
Oh Gott, jetzt steckten wir wirklich in der Klemme.
» Ich würde sagen, wir suchen eine Stelle, wo es kräftig sprießt«, schlug der Vater vor.
» Das wird denen eine Lehre sein«, sagte ein von Akne geplagter Teenager. Seine Stimme klang traurig, wahrscheinlich war er Dannys Bruder.
Sie zogen Ange auf die Füße.
» Danny wollte…«
» Maul halten!« Der Vater knallte mir die Pistole gegen die Schläfe. » Kein Wort mehr von euch beiden!«
Daraufhin war es still, bis auf das Weinen der Mutter und das Rascheln der abgestorbenen Bambusblätter unter unseren Füßen. In meinen Ohren summte es, und ich hatte furchtbare Kopfschmerzen. Ich wollte Ange gern in die Augen sehen. Warum, wusste ich nicht, vielleicht einfach, um Kontakt zu ihr aufzunehmen oder um mich zu bedanken, dass sie mir das Leben gerettet hatte. Aber sie ging vor mir. Einen Moment lang hoffte ich verzweifelt und ganz irrational, jemand aus unserer Sippe sei uns gefolgt und würde uns retten, doch mir war klar, dass das nur Wunschdenken war. Ich spürte, wie Blutstropfen den Hals hinunterrannen. Sie wollten uns umbringen – etwas anderes konnte ich mir nicht vorstellen.
» Still«, sagte der Vater. Alle blieben stehen. Ich hörte nichts, bis auf das Rascheln der Bambusblätter im Wind. » Hier entlang.« Sie schleiften uns weiter, gingen jetzt schneller. Ich wollte keinen Schritt mehr vorwärts, wollte nicht wissen, wohin sie uns brachten. Etwas Entsetzliches würde passieren, und nicht zu wissen, was es war, machte es nur noch schlimmer. Wenn wir stehen blieben, dachte ich jedes Mal, sie würden Ange und mich nebeneinanderstellen und erschießen oder ein Seil über einen Ast werfen. Bloß dass sie kein Seil mitgenommen hatten.
Wir erreichten eine Lichtung, auf der nur verstreut einige Bambusstängel wuchsen. Aber die Luft war erfüllt vom Knacken und Knistern neu sprießender Triebe.
» Sieht gut aus«, sagte einer der Brüder.
» Da drüben.« Der Vater deutete auf eine Stelle. Die beiden älteren Brüder zerrten Ange auf die Lichtung, während wir anderen am Rand stehen blieben. Ange wehrte sich jetzt heftiger, daher packten die Männer sie an Armen und Beinen und trugen sie zu der vom Vater bezeichneten Stelle. Sie legten Ange auf den Rücken und drückten ihre Gliedmaßen auf
Weitere Kostenlose Bücher