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Wie die Welt endet: Roman (German Edition)

Wie die Welt endet: Roman (German Edition)

Titel: Wie die Welt endet: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will McIntosh
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nicht«, sagte ich. » Es tut mir leid. Es tut mir leid, dass Sie Ihren Sohn verloren haben.«
    Für einen langen Moment hielt er mich ruhig.
    » Dann geht.« Er gab mir einen Schubs. Der jüngste Bruder wollte protestieren, aber der Vater schnitt ihm das Wort ab. » Erzähl deinen Freunden, was du gesehen hast. Sag ihnen, dass wir das mit jedem so machen, der versucht, uns zu bestehlen.«
    Er deutete auf den Bambuswald. » Na los, bevor ich’s mir anders überlege.«
    Ich rannte los. Die Blätter peitschten mein tränennasses, blutverschmiertes Gesicht. Irgendwann stolperte ich über einen umgestürzten Baum und fiel hin.
    Eines Tages würde ich herkommen und die ganze Familie ausrotten. Aber was nützte das? Ange war tot. Ich würde niemals wieder neben ihr aufwachen.
    Mühsam kam ich wieder auf die Füße und ging weiter. » Sie ist erschossen worden«, sagte ich laut. Ich schniefte, wollte mir die laufende Nase abwischen, doch als ich mit der Hand mein Gesicht berührte, zuckte ich zusammen. » Ange ist erschossen worden. Sie haben sie erschossen. Sie war sofort tot.« So würde ich es den anderen erzählen. Und so wollte ich es auch selbst in Erinnerung behalten, wenn ich es mir einbilden konnte. An die Wahrheit wollte ich nicht mehr denken. Sie sollte aus meinem Kopf verschwinden, ausradiert werden.
    Cortez saß auf der Veranda. Als er mein blutiges, verquollenes Gesicht sah, sprang er auf. » Was ist passiert? Wo ist Ange?«
    » Ange ist tot«, sagte ich.
    Cortez schlug die Hände vors Gesicht und fing an zu schluchzen.
    » Was ist passiert?«, fragte Jean Paul, der in der Tür stand. Ich schüttelte bloß den Kopf.
    Die Fliegengittertür quietschte, und Colin erschien. » Oh Gott«, sagte er. Er kam herausgerannt und fasste mich am Ellbogen, um mir ins Haus zu helfen.
    » Ange ist tot«, sagte ich. Colin erstarrte. Die Besorgnis in seiner Miene verwandelte sich in Verzweiflung.
    » Was ist passiert?«, wiederholte Jean Paul.
    Ich erzählte die Geschichte so, wie sie sich zugetragen hatte, nur dass ich berichtete, sie hätten Ange auf der Lichtung erschossen.
    Cortez rannte nach oben und kam gleich darauf wieder zu uns, bis an die Zähne bewaffnet: Schusswaffe, Messer. Keine Eskrima-Stöcke. » Wo ist diese Farm?«, fragte er mich.
    » Nein.« Sophia packte Cortez am Arm. » Lass das bleiben. Die sind alle bewaffnet. Wir können heute nicht noch mehr Tote gebrauchen.«
    » Sophia hat recht«, sagte Colin. » Wir brauchen dich hier, wir können es uns nicht leisten, dich auch noch zu verlieren.« Colin warf mir einen Blick zu. Mir war alles egal. Ich wollte nur noch ohnmächtig werden.
    Cortez steckte die Waffe in seinen Gürtel. » Sie haben Ange ermordet, und wir wandern einfach weiter?«
    » Ja!«, sagte Sophia. » Wir wandern einfach weiter. Sie alle zu töten, bringt uns Ange nicht zurück.«
    Cortez drehte sich um und stürzte nach draußen. Als die Fliegengittertür hinter ihm zuschlug, war ich schon auf der Treppe, torkelnd wie ein Betrunkener, auf dem Weg in mein Bett.

9
    Revolverheld
    Herbst 2033
    (DreiMonatesp ‰ ter)
    »Paradise Motel« stand in ausgeblichenen violetten Neonbuchstaben an dem Gebäude, und darunter: » Belegt«. Davor, zwischen Highway und Parkplatz, befand sich ein leeres Schwimmbecken, umgeben von einem mit Kudzu-Bohnen überwucherten Maschendrahtzaun. Über den letzten vier Zimmern des Motels war das Dach eingebrochen, aber die anderen sahen ganz ordentlich aus– einige hatten sogar noch Glasscheiben in den Fenstern.
    Zwischen zwei Stützpfeilern hing eine Eismaschine, daneben lag ein umgekippter, teilweise zerschmetterter Snackautomat.
    » Hoffentlich haben sie ganz viel Eis«, sagte Colin, » ich kann was Kaltes vertragen.« Der kleine Joel schlief in dem improvisierten Tragegestell auf Colins Rücken.
    » Merkwürdiges Gefühl, wenn ringsrum kein Bambus wächst. Ich fühle mich richtig ungeschützt«, sagte Sophia und umfasste ihre Ellbogen. Gleich hinter Midville war der Bambus immer spärlicher geworden. Allerdings wussten wir, dass es sich hier bloß um ein kleines Gebiet handelte– weder Wissenschaftler noch Öko-Terroristen hatten sich die Mühe gemacht, den Bambus hier anzusiedeln. Aber früher oder später würde er ganz von selbst herkommen.
    » Wir nehmen das hier!«, rief Colin, der gerade mit der Hand auf dem Türknauf in einen Raum hineinschaute. » Da liegt sogar so was wie ’ne Matratze.«
    Ich öffnete die Tür zum nächsten Zimmer.
    Mitten im Raum stand

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