Wie die Welt endet: Roman (German Edition)
Dieses Menschsein hat in den Ruin geführt. Ja, die Menschheit ist sowohl gut als auch böse, aber das Gute hat das Böse bisher nicht ausgeglichen und kann das wahrscheinlich auch gar nicht. Das Böse muss verschwinden.«
Je mehr ich über diese Argumente nachdachte, desto mehr überzeugten sie mich. Vielleicht würde ich eines Tages so weit sein und aufgeben, aber heute noch nicht. » Du machst deinen Vertreterjob gut«, sagte ich, » aber ich glaube, wir sind nicht eure Zielgruppe.« Ich legte die Hände auf die Knie und beugte mich vor. » Also, war das dein Sprüchlein? Dürfen wir jetzt gehen?«
Rumor seufzte. » Jasper, deine Flügel können dich tragen, wohin du willst, egal ob nach meinem Sprüchlein oder vorher. Du bist ein freier Vogel.« Er kam zu mir herüber und legte seine Hand auf meine, sodass seine raue Handfläche mich sanft berührte. Am liebsten hätte ich meine Hand weggezogen. » Wir meinen es gut. Ich hoffe, ihr glaubt uns das.«
Nun zog ich meine Hand tatsächlich weg und stand auf. » Doch, das glauben wir euch. Wir bedanken uns für das Essen und für das Angebot.« Die anderen packten ihre Sachen zusammen.
» Wo wollt ihr hin?«, fragte Rumor. » Ihr werdet nirgends überleben, außer in Athens, das verspreche ich euch.«
Wir schauten uns an. » Wir werden noch ein paar Monate herumziehen und dann nach Savannah zurückkehren und schauen, ob sich die Lage dort wieder beruhigt hat«, antwortete ich.
Rumor schüttelte den Kopf. » In Savannah habt ihr keine Chance mehr. Die Jumpy-Jumps haben die Regierungstruppen vom Nachschub abgeschnitten. Daraufhin ist deren Vorstoß ganz schnell gescheitert. Die Soldaten, die noch leben, sind genauso durstig wie alle anderen. Und nach Nordosten dürft ihr auch nicht gehen, auf gar keinen Fall.«
» Warum nicht?«, fragte Cortez.
Rumor runzelte die Stirn. » Habt ihr denn nichts von Redstone gehört?«
» Was ist Redstone?«, fragte Jean Paul ungeduldig.
» Das Redstone Arsenal bei Huntsville, Alabama«, antwortete Rumor. » Da waren Millionen von Waffen gelagert– ja, buchstäblich Millionen. Der Gouverneur von Alabama hat die nicht organisierte Miliz eingezogen, das heißt, alle Männer zwischen achtzehn und fünfundvierzig mussten sich zum Militärdienst melden, weil sie wieder Ruhe und Ordnung schaffen sollten. Das Problem war, als die Waffen ausgegeben wurden, hat niemand den Jumpy-Jumps, den Mitgliedern der verschiedenen Zivilschutz-Organisationen und den Warlords der Großstädte gesagt, sie sollten zu Hause bleiben.«
Das mussten wir erst mal verdauen. Nordwestlich von uns rannten eine Million Bewaffnete herum.
» Na, wir denken uns schon was aus«, sagte Colin.
Damit verließen wir die Anwerbestelle der Doctor-Happy-Anhänger.
Im Bambus war eine Art Trampelpfad entstanden– wir machten drei Leuten Platz, die zu ihrer kostenlosen Mahlzeit und ihrem Vortrag unterwegs waren.
» Viel Glück«, sagte Jean Paul, als sie vorbeigingen.
Ich erwachte aus einem Traum, in dem ich über Kekse wanderte. Viele Kekse– sie bildeten einen Teppich auf dem Boden. Das war alles, eigentlich war es gar kein richtiger Traum, weder tiefgründig noch aufschlussreich. Wenn man Hunger hat, verlieren Träume an Aussagekraft und Symbolik.
Ange drehte sich auf den Bauch. So kurz nach dem Aufwachen hatte sie noch diesen trüben Blick, in dem sich die nackte Angst zeigt, die sich nicht so schnell wegschieben lässt.
» Morgen«, sagte ich.
» Hunger«, erwiderte sie schläfrig.
Ich fragte mich, was sie wohl geträumt hatte. Vielleicht, dass es Popcorn schneit.
Unsere letzte richtige Mahlzeit war das Rekrutierungsessen der Doctor-Happy-Sekte vor zehn Tagen gewesen. Seitdem hatten wir an manchen Tagen gar nichts gegessen. Von dem Essbaren, das wir auftreiben konnten, gaben wir Jeannie einen großen Teil ab, damit sie den kleinen Joel stillen konnte.
Irgendetwas musste geschehen, und gestern Abend beim Einschlafen war mir eine Idee gekommen. Es gab einen Song von den Young Mozarts, der mir besser gefiel als der, den die Doctor-Happy-Anwerber neulich gespielt hatten. Einige Zeilen darin lauteten etwa: » Wenn es gar nicht mehr anders geht, / wirst du am Ende zum Bettler, / zum Schnorrer, zum Dieb.« Ich hatte in meinem ganzen Leben noch nie gestohlen. Klar, ich hatte jemanden umgebracht, und im Vergleich dazu war Stehlen, moralisch betrachtet, bloß eine Kleinigkeit. Doch ich beschloss, meine Sippe nicht einzuweihen, genauso, wie Cortez nicht ausposaunt
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