Wie die Welt endet: Roman (German Edition)
ich an Deirdre, an ihren Sturzflug in den Tod.
» Das ist in Ordnung.« Rumor legte sich die Hand auf den Mund und dachte einen Moment nach. » Ich muss meinen Werbevortrag etwas abändern, weil ihr schon so viel wisst. Ihr wisst, dass dieses Virus von Wissenschaftlern ausgetüftelt wurde. Diese Wissenschaftler haben erkannt, dass wir den nächsten Sprung in der Evolution selbst einleiten müssen, wenn die Menschheit überleben soll. Und was brauchen wir zum Überleben? Wir brauchen weder mehr Hände noch zwei Köpfe oder Flügel. Nein, wir brauchen Heilung. Unsere Gewalttätigkeit, unser Kummer, unsere Einsamkeit, unsere Angst… das alles sind Krankheiten, die uns umbringen.« Sein Tonfall war hypnotisierend. Es war, als würde man sich eine gute Predigt anhören.
» Seht euch doch an, was unter den Menschen von gestern aus der Welt geworden ist.« Mit einer einzigen Geste umfasste Rumor den ganzen großen Raum, als lägen alles Leid und aller Tod der Welt hier vor uns ausgebreitet. » Was glaubt ihr? Wenn alles in Schutt und Asche liegt, wollen wir genau diesen Leuten dann gestatten, es noch einmal zu probieren?« Rumor lachte. » Hättet ihr gern einen zweiten Teller von der gleichen versalzenen Suppe?« Als niemand antwortete, sprach Rumor weiter.
» Wir sind die Zukunft, meine Freunde. Wir werden eine Welt aufbauen, die auf liebender Güte basiert, nicht auf Egoismus. Gewalttätige Menschen bekehren wir, wo immer sich uns die Gelegenheit bietet, notfalls auch gegen ihren Willen. Wer gewalttätig ist, verliert das Recht auf freie Entscheidung. Aber die anderen, solche wie ihr, sollen selbst wählen. Wir bieten euch Nahrung, eine Gemeinschaft und ein sicheres Zuhause. Wir bieten euch eine Zukunft.«
» Stopp mal«, unterbrach ich, » dieses sichere Zuhause– das ist doch nicht etwa Athens?«
» Doch, das ist Athens.«
» Das elende Schwein!«, sagte Cortez. » In Athens sind alle infiziert?«
Rumor neigte den Kopf. » Nur den Bekehrten ist es gestattet, dort zu leben.«
» Sebastian, du Schwein«, murmelte Cortez.
» Wann er wohl damit rausrücken wollte?«, fragte Ange. Sie sah aus, als hätte sie Sebastian vor Wut die Ohren abgerissen, wenn er da gewesen wäre.
Rumor spreizte die Finger. » Lasst ihr mich bitte ausreden? Habt ihr Fragen, wie das funktioniert, wenn ihr zu uns kommen möchtet? Warum seid ihr so verärgert? Sagt mir, was ihr für Zweifel habt.«
Sophia meldete sich zu Wort. » Ich bin glücklich, so wie ich bin. Ich bringe niemanden um. Ich bin nicht voller Hass.«
» Du bist ein guter Mensch, ganz klar«, sagte Rumor und schaute sie direkt an. » Aber streben wir nicht alle nach Besserem? Wollen wir nicht alle unser höchstes Potenzial verwirklichen? Dies wird dich einen Schritt weiter zur Selbstverwirklichung führen. Es ist wie ein ganz besonders nahrhaftes Vitamin, aber nicht für den Körper, sondern für den Geist.«
Er wartete auf eine Antwort von Sophia, aber sie verschränkte bloß die Arme und schüttelte den Kopf.
» In euren Körpern tummeln sich jetzt schon Tausende von fremden Organismen! Denkt bloß mal an die nützlichen Bakterien im Verdauungstrakt. Und dieses Virus wird euch nicht verändern. Ich bin immer noch ich selbst.« Er zeigte auf seine Brust. » Ich bin sogar mehr ich als vorher, bevor ich das Licht der Nadel gesehen habe. Bloß dass es in meinem Fall keine Nadel war, sondern ein Wassergewehr!« Er lachte vergnügt. » Das Virus hat mich befreit, ich bin jetzt viel mehr ich selbst und viel weniger das Milieu, in dem ich aufgewachsen bin. Ich bin immer noch ich selbst, bloß eine wesentlich freundlichere Version von mir.«
Ich schaute mich in meiner Sippe um, versuchte, die Reaktionen der anderen einzuschätzen. Unwillkürlich ließen wir uns ein bisschen von Rumors Worten einlullen. Aber die Infektion war irreversibel, und außerdem galt es, Deirdres Schicksal zu bedenken. Was war, wenn der neue Zustand gar nicht so angenehm war, wie es von außen den Anschein hatte? Die Wissenschaftler, die dahintersteckten, hatten auch den Bambus gezüchtet, und diese Sache war ihnen aus dem Ruder gelaufen. Vielleicht würde Doctor Happy seine Träger mit der Zeit in den Wahnsinn treiben– wer konnte das vorhersehen?
» Ist es nicht auch wichtig, dass die Leute im wahrsten Sinne des Wortes menschlich bleiben?«, fragte Jeannie. » Mensch zu sein heißt doch, dass man beides erlebt, Gutes und Schlechtes, und sowohl Glück als auch Kummer empfindet.«
Rumor lachte. »
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