Wie die Welt endet: Roman (German Edition)
Athens zu bieten hat.«
» Nein, danke«, sagte ich.
Verblüfft zuckte Sebastian die Achseln. » Auch gut. Wie ihr wollt. Dann gehe ich jetzt lieber wieder an meine Arbeit. Ich gucke nach euch, sobald ich kann, vielleicht ändert ihr ja eure Meinung. Das hoffe ich jedenfalls.«
Zwanzig Meter vom Tor entfernt schlugen wir unser Lager auf, direkt an der Rhizomsperre. Wir hatten keine Zelte, daher benutzten wir Laken, die wir unterwegs aus den Häusern geholt hatten. Als wir damit fertig waren, gingen wir zu Plan B über. Jeder von uns wählte sich ein Stück Handelsware und bezog damit draußen vor dem Tor Stellung.
» Tampons. Wer braucht Tampons?« rief Colin ohne jede Verlegenheit. Er hielt eine Schachtel Tampons hoch, zwei weitere klemmten unter seinem Arm.
» Seife, ich habe Seife!«, rief Jeannie, während Cortez ein paar Schritte weiter Wasserfilter anbot. Eigentlich hatten wir nur einen einzigen Wasserfilter übrig– ein glücklicher Fund im Keller eines Hauses in einer kleinen Stadt namens Washington. Aber das spielte keine Rolle– wir wollten uns erst einmal etablieren, dann würden wir uns auf die Suche nach weiteren Waren machen.
Aber es klappte nicht. Niemand kam auf uns zu, um sich zu erkundigen, was wir für unsere Waren haben wollten. Allerdings kriegten wir jede Menge Aufmerksamkeit. Ein Klugscheißer brüllte: » Blut! Ich habe Blut, das alle eure Probleme lösen wird.« Darüber mussten einige Bürger von Athens herzhaft lachen.
Der Strom von Bewohnern, die durch das Tor herauskamen oder hineingingen, riss nicht ab. Gelegentlich kamen noch Gruppen von Neulingen hinzu, die sich der Gemeinschaft anschließen wollten. Manche dieser Gruppen waren klein, andere bestanden aus vierzig oder fünfzig halb verhungerten Menschen, angeführt von einem Anwerber aus Athens. Ich rechnete ständig damit, dass ich Rumor an der Spitze einer solchen Gruppe entdecken würde. Cortez hatte das Gebiet um Athens herum ausgekundschaftet und berichtet, dass die Stadt auf der anderen Seite erweitert wurde, damit alle Neuankömmlinge Platz fanden. Ich stellte mir vor, dass sie bereits Pläne für die Zeit machten, wenn ihre Gemeinschaft sich in alle Richtungen meilenweit durch den Bambus erstrecken würde.
Nach etwa einer Stunde gaben wir auf.
Einen Plan C hatten wir nicht.
Als die Sonne unterging, kam Sebastian wieder zu uns heraus. Er hockte sich hin und zog einen flachen, runden Brotlaib unter seinem Hemd hervor. Mit wilden, hungrigen Augen starrten wir auf das Brot. Es roch unglaublich gut.
» Mehr konnte ich nicht verstecken«, sagte Sebastian entschuldigend.
Wir nahmen das Brot mit hinter ein Zelt, wo die Stadtbewohner uns nicht sehen konnten, und Cortez teilte es mit seinem Jagdmesser und gab Jeannie eine doppelte Portion.
» Ist das gut«, sagte Colin zwischen zwei Bissen. Er bemühte sich ganz offensichtlich, langsam zu essen.
Eine Träne kullerte ihm über die Wange. Ich wusste nicht, ob er vor Erleichterung weinte oder weil es so gut schmeckte oder vor Verzweiflung über unsere Situation, in der uns der Verzehr eines Brotlaibes wie Weihnachten hoch drei erschien. Aber was auch der Grund sein mochte, seine Stimmung war ansteckend, und abgesehen von Cortez weinten wir bald alle beim Essen leise vor uns hin.
Als es dunkel wurde, krochen Phoebe und ich in das gleiche Lakenzelt. Wir hatten das nicht abgesprochen, es ergab sich einfach aus der Verbindung, die zwischen uns gewachsen war. Mit geschlossenen Augen horchte ich auf Phoebes Atem, zutiefst dankbar dafür, dass sie hier neben mir lag.
Ich weiß nicht, warum ich so lange gebraucht hatte, um sie zu finden. Vielleicht sollte es so sein, in dieser schwierigen Zeit. Wie sieht Liebe aus, wenn die Welt zerfällt? Die große Liebe kann genau dann auftauchen, wenn das eigene Herz so sehr verletzt ist, dass es keine Berührung mehr ertragen kann, und das Herz der Frau ist vielleicht in ähnlicher Verfassung. Endlich hatte ich erkannt, dass Phoebe die Frau war, nach der ich gesucht hatte, aber nun befürchtete ich, dass wir vielleicht gar nicht die Chance bekommen würden, einen gemeinsamen Weg zu gehen.
» Die Zeit wird knapp«, sagte ich leise. Joel schien zu schrumpfen, als würde er sich in ein Neugeborenes zurückverwandeln. Er nahm die Außenwelt nicht mehr wahr, und manchmal erkannte er nicht einmal seine Mutter.
» Ich weiß.« Unter der Decke nahm Phoebe meine Hand. Wir lauschten den Grillen. » Wenn Colin und Jeannie sich der Gemeinschaft
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