Wie die Welt endet: Roman (German Edition)
Deirdres Stärke.
» Um Mitternacht hab ich einen Auftritt«, sagte sie, als wir losgingen. » Wir haben…«
Mit offenem Mund begafften wir das Gefährt, das gerade um die Ecke bog.
Es war mal ein Auto gewesen, bestand jetzt aber eigentlich nur noch aus Achsen und Sitzen, und gezogen wurde es von einem Rudel bellender Hunde. Vorne klebte ein Pappschild mit der Aufschrift » Taxi«.
» Nur über meine Leiche«, sagte Deirdre.
Aber eigentlich war das ganz vernünftig. Es gab so viele Hunde. Sie waren wirklich überall, wie große Ratten. Wir sahen dem Taxi nach.
» Bist du allein zu Fuß hergekommen?«, fragte ich.
Deirdre schaute mich an, als wäre ich schwachsinnig.
» Ich meine bloß, weil die Straßen doch so gefährlich sind«, erklärte ich.
» Ach ja? Und?«
Ich zuckte die Achseln. Sie hatte recht. Heutzutage waren wir anscheinend viel risikofreudiger als in meiner Kindheit. Vielleicht, weil wir ohnehin nicht damit rechneten, so lange wie unsere Eltern zu leben.
War es das? Dachten wir uns: Ach, ich riskiere es einfach, wahrscheinlich bin ich sowieso bald tot? Doch, das stimmte. Als Kind war ich sicher gewesen, dass ich neunzig, vielleicht auch hundert werden würde. Aber seitdem hatte ich diese Schätzung immer wieder nach unten korrigiert. Im Moment hatte ich das Gefühl, dass ich von Glück reden konnte, wenn ich meinen fünfzigsten Geburtstag erlebte.
» Was möchtest du machen?«, fragte ich.
Deirdre zuckte die Achseln. » Diesmal musst du mich überraschen.«
Ich sollte Deirdre überraschen? Mist. Vielleicht konnten wir zwischen dem Hilton und dem Kirchturm von Saint John the Baptist seiltanzen? Oder die Savannah Bridge sprengen und zuschauen, wie sie in den Fluss krachte? Daran hätte Deirdre ihren Spaß gehabt. Ich war in Versuchung, ein Restaurant vorzuschlagen.
Ich sah Deirdre an: Sie war angespannt und aufgeregt. Wie sich allmählich herausstellte, wechselten ihre Stimmungen oft, plötzlich und unerwartet.
Deirdre überraschen. Ich nahm ihre Hand und zog sie die East Jones entlang und dann über den Reynolds Square, während ich überlegte.
Um den Pfahl einer kaputten Straßenlaterne hatte jemand ein langes Stück Stromkabel gewickelt, wie eine Weihnachtsgirlande, bloß schwarz. Weihnachten hatte ich fast vergessen, aber es war nicht mehr lange hin, vielleicht noch eine Woche; ich wusste gar nicht genau, welches Datum wir hatten. Passend zur Vorweihnachtszeit war die große Marmorstatue von John Wesley rot und grün besprüht worden, bis auf das schwarz bemalte Gesicht. Er stand mitten auf dem Platz auf seinem Grabmal, oder jedenfalls hielt ich den Marmorsockel für sein Grabmal. Ich hatte das Messingschild, das darin eingelassen war, nie gelesen.
Ein Grabmal. Doch, so was konnte Deirdre gefallen.
» Komm.« Ich zog sie weiter, die Abercorn Street entlang.
» Oooh«, gurrte Deirdre, als wir die Liberty Street überquerten und auf das verschlossene Tor des Colonial-Park-Friedhofs zuhielten.
Sie ignorierte meinen Versuch, ihr zu helfen, und kletterte allein über den Zaun. Ich packte die rauen, rostigen Eisenstangen und folgte ihr. Im tiefen Schatten unter den Bäumen schimmerten weiße Grabsteine, abgebrochen und schief wie riesenhafte Zähne. Kreppmyrten wanden sich glatt und rindenlos dem Himmel entgegen.
Deirdre stieg über eine umgestürzte Lampe und ging auf die Betonmauer auf der anderen Seite des Friedhofs zu. Ich folgte ihr. Als ich sie eingeholt hatte, legte ich ihr die Hände um die Taille. Sie betrachtete die alten Grabsteine, die an der Mauer aufgereiht waren.
» Was machen die denn hier?«, fragte sie.
» Damals im Bürgerkrieg waren Soldaten hier und haben die Steine aus der Erde gerissen und durcheinandergeschmissen. Die Bürger wussten nicht mehr, zu welchen Gräbern sie gehörten, deswegen konnten sie die Steine nicht wieder richtig aufstellen.«
» Ist mir sowieso ein Rätsel, warum man so viel Theater um Leichen macht. Spielt doch keine Rolle, wo jemand liegt, wenn er mausetot ist, oder?«
Ich strich mit den Handflächen seitlich an Deirdres Körper hinauf und legte die Hände auf ihre Brüste. Mit einem Lächeln drehte sie sich zu mir um. » Du willst mich hier ficken?« Während meine Hände unter ihr T-Shirt glitten, ließ sie den Blick über den Friedhof wandern.
» Hier entlang.« Sie nahm meine Hand und führte mich zu einem Familiengrab, wo in zwei Reihen acht Sarkophage aus Beton standen. Sie wirkten, als hätte man sie dort abgestellt, um sie
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