Wie die Welt endet: Roman (German Edition)
bewusst, dass Uzi nicht bei mir ist. Dann mache ich mir Sorgen, dass ich ihn vielleicht irgendwo angebunden habe«, sagte sie. » Und plötzlich fällt mir wieder ein, dass er tot ist.«
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, und nickte nur. Vielleicht brauchte ich gar nichts zu sagen. Schmerz führt ein Eigenleben, und Worte können daran nichts ändern.
Es klopfte an der Zimmertür. » Ange?« Chair schob die Tür einen Spaltbreit auf. » Du hast Besuch.«
» Wer ist denn da?«, fragte sie.
Chair geleitete sie den Flur entlang. » Das musst du selbst sehen.« Ich sprang von der Bettkante auf und folgte den beiden.
An der Haustür blieb Ange wie erstarrt stehen. Über ihre Schulter hinweg sah ich Rumor auf der Vordertreppe sitzen. In den Armen hielt er einen schlafenden Welpen. Mit einem Kopfnicken bedeutete er Ange, herauszukommen, und nach kurzem Zögern tat sie das auch. Ich folgte ihr. Rumor stand auf und lächelte mich an. Sein Lächeln wirkte fremd, ja grotesk, denn es war weder höhnisch noch sarkastisch, sondern herzlich und echt.
» Hallo, Schneckchen«, begrüßte er Ange. Seine Augen waren glasig, sie leuchteten fast. » Ich hoffe, der Kleine hier kann dir ein bisschen über deinen Kummer hinweghelfen.« Behutsam legte er Ange den Welpen in die Arme. » Was ich getan habe, tut mir sehr leid.«
Ange schaute den jungen Hund nicht an, sie hielt ihn nur steif in den Armen. Ich war überrascht, dass sie ihn Rumor nicht zurückgab. Am liebsten hätte ich es selbst getan. Es gibt Situationen, in denen eine Entschuldigung und ein Welpe einfach nicht ausreichen, und meiner Ansicht nach war das so eine Situation. Rumor verdiente unsere Vergebung nicht. Ohne Doctor Happy würde er uns weiter terrorisieren, nur aus dem einfachen Grunde, dass er das konnte.
Jetzt wandte er sich an mich. » Danke.« Er verbeugte sich und wandte sich zum Gehen, hielt aber noch einmal inne. Er griff in seine Jackentasche, zog ein Fläschchen heraus und stellte es auf das Verandageländer. Es enthielt Blut. » Wenn ihr euch jemals entschließt, zu uns zu kommen, dann würde ich mir wünschen, dass ihr mein Blut nehmt–«
» Ich will’s nicht haben«, sagte Ange.
» Jetzt vielleicht nicht, aber hebt es euch auf, für alle Fälle.« Er ging die Stufen hinunter. » Wer weiß, wie dunkel diese Nacht noch wird.«
5
Schleichende Apokalypse
Herbst 2030
(EinJahrsp ƒ ter)
An einem Kiosk probierte eine Frau, geschmeidig wie ein Kormoran, verschiedene Gasmasken an. Als ich vorbeiging, trug sie gerade eine putzige Maske in Avocadogrün und schaute gespannt in einen kleinen runden Spiegel, der an einem Telefonmast hing. Ihre Bewegungen gefielen mir ebenso wie ihre Intellektuellenbrille und ihr kurz geschorenes Haar. War sie zu hübsch für mich? Ich war unsicher.
Die schlaksige Schönheit verschwand aus meinem Blickfeld. Ich suchte weiter, begutachtete im Vorbeigehen jede Frau, ob sie als Freundin für mich infrage käme. In Sekundenschnelle urteilte ich mit J a oder N ein. Ich konnte nichts dagegen tun. Die ganze übrige Welt spielte keine Rolle mehr, weder die schönen, verfallenden Gebäude, noch die farbenfrohen Straßenstände oder der stinkende Dieselqualm in der Luft– alles trat in den Hintergrund, während ich wie besessen jede einzelne Frau taxierte. Ich achtete darauf, ob mein Herz schneller schlug, und versuchte, ein Gespür für sie zu bekommen, indem ich ihren Gang, ihren Gesichtsausdruck und ihren wippenden Busen betrachtete.
Nicht, dass ich jemals eine Frau auf der Straße angesprochen hätte. Männer, die so was machten, fand ich ätzend. Nein, meine Beobachtungen dienten mir gewissermaßen als Übung, als Probe für den Ernstfall, damit ich meine Seelengefährtin erkannte, wenn ich sie traf. Oder vielleicht wollte ich mir damit auch beweisen, dass es in Savannah Frauen gab, die die Flamme wieder auflodern lassen konnten, wenn ich ihnen begegnete.
Wieder auflodern? Ich fragte mich, ob ich überhaupt jemals richtig für eine Frau entflammt war. Doch, für Sophia natürlich, aber wir hatten ja nie eine richtige Beziehung gehabt. Und für Ange? Vielleicht. Meine Gefühle für Ange konnte ich nicht richtig einordnen. Doch das spielte keine Rolle, denn sie empfand für mich sowieso nichts weiter als freundschaftliche Gefühle. Und Deirdre? Manchmal war sie wie ein Lied, das mir nicht aus dem Kopf wollte, selbst nach zwei Jahren noch. Die kleine, kindliche Deirdre mit dem Fischgesicht. Was mochte sie mit meinen Fotos
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